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Brunn, Heinrich von
Geschichte der griechischen Künstler (Band 1): Die Bildhauer — Stuttgart, 1889

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https://doi.org/10.11588/diglit.4968#0091

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IL Grossere Ausbreitung und Streben nach freier Entwickelung, von Ol. 60—^0. 87

würde es sein, zu läugnen, dass die Kunst auch nach andern Richtungen hin
sich weiter ausgebildet habe, namentlich auf dem Gehiete des Reliefs und der
untergeordneten Gattungen des Decorativen. Nur sind wir hier zu mangelhaft
unterrichtet, um die Ausbreitung derselben bestimmen zu können. Wir haben
den umfangreichen Werken der vorigen Periode nur den Tempel der Athene
Chalkioekos und die Dreifüsse des Gitiades und Kallon an die Seite zu stellen;
als neu aber nur einige Grabmonumente hinzuzufügen, deren eines freilich,
weil es erhalten ist, eine besondere Wichtigkeit für uns hat.

Wollen wir nun weiter die innere Entwickelung der Kunst verfolgen, so
dürfen wir nicht vergessen, dass sie auch in diesem Zeiträume noch vorzugs-
weise im Dienste der Religion steht. Mögen die grossen Weihgeschenke im
Laufe der Zeit, je länger, auch desto mehr selbständige Kunstwerke geworden
sein, ihrem Ursprünge nach waren sie religiös, und Götter erscheinen noch
immer zwischen den Bildern der Heroen und selbst der Sterblichen. In den
Götterbildern aber sind die alten Bande noch streng, und selbst bedeutende
Künstler dürfen es nicht wagen sie zu sprengen. Von höchstem Gewicht ist
uns hier, was von Onatas erzählt wird. Er arbeitet seine schwarze Demeter
theils nach einem alten Bilde, theils nach Erscheinungen, die er im Traume
gehabt. Hier erkennen wir deutlich, dass der Künstler das Unkünstlerische des
Gegenstandes fühlt, den ihm der Priester aufzwingt. Geradezu widersprechen
darf er seinen Weisungen nicht. Da nimmt auch er seine Zuflucht zur Religion.
Die Göttin selbst muss im Traume erscheinen und das gut heissen, worin der
Künstler von den Satzungen der Priester abweichen will. Ob dabei ein frommer
Betrug im Spiele ist, ob der erregten Phantasie des Künstlers das Bild der
Göttin wirklich im Traume erschien, kann uns gleich gelten. Immer erkennen
wir hier das erste mächtige Anzeichen eines Strebens nach Freiheit, nach un-
gehemmter Entwickelung und organischer Bildung. Aber ebenso erkennen wir
durch das theilweise Festhalten an einem alten Vorbilde, dass die wahre, volle
Idealbildung der Götter nicht erreicht war. Sie blieb dem Genius eines Phidias
vorbehalten. Wollen wir einmal Schlagwörter gebrauchen, so ist es nicht das
Ideal, sondern der Typus der Göttergestalten, der in dieser älteren Zeit be-
stimmter ausgeprägt wird. Ganze Gruppen, die das Wesen einer Gottheit näher
bezeichnen sollen, werden ihr ohne Weiteres auf die Hand gestellt. Die At-
tribute, der Blitz des Zeus, der Heroldsstab des Hermes, Apollo's Bogen, die
wir in späteren Bildern, sofern nicht eine bestimmte Handlung es anders be-
dingt, in den Händen der Götter unthätig und nur zu kräftigem Gebrauche
ruhen sehen, diese Attribute werden in den älteren Bildern recht eigentlich zur
Schau getragen; der Gott steht da, um seinen Blitz, seinen Bogen, das Zeichen
seiner Macht, dem ehrfurchtsvollen Beschauer recht eindringlich vor Augen zu
(Ohren. Auch andere äussere Kennzeichen, die verschiedenen Stufen des Alters,
Bart, Haar, Bekleidung, werden für die einzelnen Götter immer fester bestimmt.
Dass nun aber diese einzelnen Unterscheidungszeichen zu einem einheitlichen
Ganzen aus dem innern Wesen der Gottheit heraus, zu einem Ideal verarbeitet
worden wären, davon liefern uns die schriftlichen Nachrichten so wenig, wie
die erhaltenen Denkmäler einen Beweis.

Was wir nun weiter über den Styl dieser Epoche erfahren, hält sich in
 
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