Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Brunn, Heinrich von
Geschichte der griechischen Künstler (Band 1): Die Bildhauer — Stuttgart, 1889

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4968#0153

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
III. Die griechische Kunst in ihrer höchsten geistigen Entwickelang. 149

stellte, nach diesem seinem zweiten Vaterlande Argiver genannt wurde, auch
wenn er in Sikyon geboren war, noch dazu, wenn wir bedenken, wie eng beide
Städte durch Freundschaft und Verwandtschaft nicht nur in der Politik, sondern
gerade auch in den Kunstschulen verbunden waren?

Sehen wir nun weiter, ob die Angaben über die Zeit eine Scheidung in
zwei Personen nöthig machen. Plinius i) setzt Polyklet in die 90ste Olympiade:
eine Zeitbestimmung, die offenbar von der Aufstellung der Hera in Argos her-
genommen ist, deren Tempel Ol. 89, 2 (423 v. Chr.) abbrannte2). Ausserdem
nennt ihn Plinius Schüler des Ageladas. Da dieser nun, wie wir gesehen haben,
»och Ol. 81, 2 thätig sein konnte, so liegt in beiden Angaben nichts, was sich
nicht auf eine einzige Person beziehen Hesse. Ferner sucht Thiersch einen Stütz-
Punkt für seine Ansicht in einer Stelle des Plinius3), in welcher Telephanes
aus Phokis, der für Xerxes und Darius thätig war, mit Polyket, Myron und
Pythagoras verglichen wird. Die Reihenfolge dieser drei Namen soll hier in 212
der Weise für die Zeitfolge entscheidend sein, dass Polyklet ein Vorgänger des
%1'on und Pythagoras, und mit Telephanes ein Zeitgenosse des Darius ge-
wesen sein müsse. Allein Plinius behält bei der Zusammenstellung der drei
tarnen unter Ol. 90 eben diese Reihenfolge bei: eben wegen der sicheren Zeit-
bestimmung des Polyklet durch die Hera in Argos, obwohl die beiden andern
zu jener Zeit schwerlich noch am Leben waren. Wollte aber Thiersch con-
sequent sein, so musste er auch aus der Stellung, Xerxis atque Darii, folgern,
dass hier nicht von dem ersten, sondern von Darius Nothus die Rede sei; und
er durfte dies mit um so grösserer Wahrscheinlichkeit, als dieser gerade in dem
Jahre des Tempelbrandes zu Argos zur Regierung kam, Telephanes dadurch
also recht eigentlich als Zeitgenosse des bekannten Polyklet erscheint. — Nicht
übersehen dürfen wir endlich, wie häufig und wie eng Phidias und Polyklet als
Zeitgenossen mit einander verbunden werden, während nach Thiersch's An-
nahme Phidias mit den entgegengesetzten Endpunkten seiner Thätigkeit wohl
diejenige der beiden Polyklete noch berühren, eigentlich aber doch gerade in
der Mitte zwischen beiden stehen würde.

So viel über die Haltbarkeit der äusseren Gründe, durch welche Thiersch
seine Meinung zu vertheidigen gesucht hat. Sie soll aber zugleich auf inneren
Gründen beruhen, nemlich auf der Unmöglichkeit, die verschiedenen Nachrichten
über die künstlerischen Verdienste und Mängel des Polyklet auf eine und die-
selbe Person zu beziehen. Ich werde versuchen, den Gegenbeweis zu liefern,
jedoch nicht auf dem. Wege der Polemik, sondern indem ich ein Bild von der
Persönlichkeit des Polyklet entwerfe. Finden darin alle die verschiedenen An-
gaben ihre Stelle, ja gewinnt das Bild gerade durch das, was Thiersch als
Widersprechend verwerfen will, erst volles Leben, so hoffe ich, der Widerlegung
lrn Einzelnen überhoben zu sein.

Wir beginnen, wie gewöhnlich, mit der Aufzählung der Werke:

Das Bild der Hera im Tempel bei Argos, aus Gold und Elfenbein, von
kolossaler Grösse, aber kleiner als die verwandten Werke des Phidias (Strabo VIII,
P- 372). Die Göttin sass auf einem Throne, die Stirn mit dem Stephanos ge-

!) 34, 49. 2) Thuc, IV, 133. 3) 34, 6tS.
 
Annotationen