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Brunn, Heinrich von
Geschichte der griechischen Künstler (Band 1): Die Bildhauer — Stuttgart, 1889

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https://doi.org/10.11588/diglit.4968#0166

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162

Die Bildhauer,

Einer solchen Durchführung ist, wie wir schon früher bemerkt haben, der von
Polyklet vorzugsweise gewählte Stoff, die Bronze, noch mehr als der Marmor,
günstig. Die wenigen guten Bronzen, welche uns erhalten sind, genügen voll-
kommen, um uns die Wahrheit dieses Satzes erkennen zu lassen. Ich erinnere
Beispiels halber an den Dornauszieher des Kapitals, und wir werden es be-
greiflich finden, wie die zwei würfelspielenden Knaben des Polyklet von Vielen
als das vollendetste Werk des Alterthums gepriesen werden konnten.

Schliesslich wird eine Warnung nicht an unrechter Stelle sein, die Eigen-
schaft der Sorgsamkeit nicht in der Richtung zu deuten, wie wir sie später an
Kallimachos kennen lernen werden, nemlich als eine in das Kleinliche über-
gehende Sorgfalt und gesuchte Zierlichkeit. Die Gefahr, dass es geschehe, liegt
um so näher, als Polyklet vielfach als der Repräsentant einer specifisch zier-
lichen und anmuthigen Kunst hingestellt worden ist, ganz im Gegensatz zu

231 dem oben angeführten Urtheil des Dionys von Halikarnass. Die Gegenstände
seiner Werke gehören zwar dem Kreise an, welchen wir als Genre zu bezeichnen
pflegen. Aber sie sind durch die Auffassung geadelt: Polyklet ist ein durch-
aus ernster und strenger Künstler. Hören wir nur Cicero wo er von der Be-
urtheilung des Kanachos, Kaiamis und Myron zu Polyklet aufsteigt: er nennt
seine Werke noch schöner, als die des Myron und schon ganz vollkommen,
„wie sie mir wenigstens vorzukommen pflegen." Was will dieser Zusatz sagen»
Der Masse der Zeitgenossen des Cicero mundete nicht einmal ein Polyklet, er
war zu streng und herbe. Ihr Geschmack war durch die zarten, weichen, zu-
weilen fast üppigen Gebilde eines Praxiteles und seiner Nachfolger verwöhnt;
und Cicero hält es daher für nöthig. sich ihnen gegenüber, so zu sagen, als
Puristen zu bekennen. Polyklet's strenge Verhältnisse, sein ruhiger Ernst, die
Würde seiner Gestalten erschienen dem verweichlichten Geschmacke nicht als
Vorzüge, sondern als Zeichen einer antiquirten Kunstübung, welche mehr Ach-
tung, als Gefallen erregte, mehr gelobt, als geliebt wurde. Wir aber dürfen
dieses Urtheil des Cicero um so weniger übersehen, je sicherer in dieser An-
schauungsweise sowohl, als in den thatsächlichen Verhältnissen, auf welchen
sie beruhte, die Veranlassung liegen musste, in allgemeinen Kunsturtheilen Po-
lyklet mit Phidias zusammenzustellen. Denn sie waren die Vertreter der alten,
strengen Kunst, welche die archaische Härte sowohl, als die gesuchte archaische
Zierlichkeit abgestreift und die Darstellung der edelsten und reinsten Formen
und Ideen an und für sich als Zweck hingestellt hatten, ohne daneben, wie di
Späteren, dem blossen Reiz der Sinne eine selbstständige Berechtigung ein
geräumt zu haben.

Erinnern wir uns nun noch einmal, von welchem Punkte wir bei den Er-
örterungen über Polyklet ausgegangen sind. Es war der Widerspruch gegen
die von Thiersch aufgestellte Meinung, dass zwei Polyklete, ein älterer Sikyonier
und ein jüngerer Argiver, zu unterscheiden seien. Wir haben diese Ansicht
nicht Punkt für Punkt, wie sie ihr Urheber zu begründen suchte, widerlegt-
Denn da sie auf der Behauptung der Unverträglickeit der verschiedenen Nach-

232 richten unter einander beruhte, so genügte es, den Beweis des Gegentheils zu

') Brut. IS.
 
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