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Brunn, Heinrich von
Geschichte der griechischen Künstler (Band 1): Die Bildhauer — Stuttgart, 1889

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https://doi.org/10.11588/diglit.4968#0217

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III. Die griechische Kunst in ihrer höchsten geistigen Entwickelung.

•2l:i

Blicken wir jetzt auf die Werke der Künstler, welche wir als unter dem
'influsse des Myron stehend bezeichnet haben, so bemerken wir zuerst, dass
sie ausschliesslich in Bronze gearbeitet waren. Ferner finden wir im Gegen-
satze zur Schule des Phidias Götterbilder fast nur ausnahmsweise. Der Zeus
des Lykios war noch dazu der Mittelpunkt einer heroischen Darstellung, nicht
ein Tempelbild. Die Artemis Soteira des Strongylion scheint minder berühmt
gewesen zu sein, als die Amazone und der Knabe desselben Künstlers. Ob
endlich die Minerva musica des Demetrios gerade in ihrer Eigenschaft als
Götterbild besonderen Ruhmes würdig war, muss zweifelhaft erscheinen, wenn
wir sowohl den Charakter seiner übrigen Werke, als die Nachricht von den
tönenden Schlangen am Gorgoneion ins Auge fassen. Das eigenthümliche Ver-
dienst dieser Künstler zeigt sich vielmehr in dem lebendigen Erfassen bestimmter
Thätigkeiten und Zustände, wie sie das wirkliche Leben darbietet, und in
deren vollendeter Darstellung. Deshalb werden nächst den Werken des Myron
der feueranblasende Knabe des Lykios, der Splanchnoptes des Styppax, der
sterbende Verwundete des Kresilas, weil in ihnen die Eigentümlichkeit dieser
Schule am schärfsten hervortritt, mit besonderem Lobe von den Alten erwähnt;
und an diesem Lobe haben sogar Werke Theil, welche streng genommen dem
heroischen Kreise angehören, die Amazonen von Kresilas und Strongylion:
denn der Vorzug der einen war in der durch die Verwundung herbeigeführten
Situation begründet; bei der andern war es die schöne Form der Schenkel, 304
welche zur Bewunderung hinriss. Fassen wir diesen auf das wirkliche Leben
gerichteten Charakter der myronischen Schule ins Auge, so muss uns die
Erscheinung auffallen, dass Statuen athletischer, namentlich olympischer Sieger
als Werke der genannten Künstler, Myron selbst ausgenommen, gar nicht
bekannt sind; ja es scheint, dass dieser Kunstzweig von allen attischen Künstlern
der vorliegenden Periode verhältnissmässig nur in sehr geringem Umfange aus-
geübt wurde. Denn was wollen der Enkrinomenos des Alkamenes, Pythodemos
von Deinomenes, Athleten des Mikon und Nikeratos gegen die Masse der übrigen
Werke dieser Schule. oder gegen die Reihen von Athletenfiguren argivischer
Künstler bedeuten ? Noch dazu hatten auf einem anderen Gebiete, dem der
religiösen Kunst, die attischen Künstler in Olympia das vollständigste Ueber-
gewicht. und sie mussten also nothwendig dort vorzugsweise bekannt sein.
Wir müssen also die Ursache jener Erscheinung vielmehr in einem inneren
Grunde suchen, und dürfen ihn vielleicht in der vom Idealismus ausgehenden
Grundrichtung der attischen Kunst finden, welcher die Darstellung einzelner
Individualitäten weniger zusagte, vielleicht auch weniger gelang, als die Bildung
idealer Gestalten. Dass dieser Satz auch auf das eigentliche Portrait seine
Anwendung lindet, lehrt die Bemerkung, welche Plinius der Erwähnung des
Perikles von Kresilas beifügt: man müsse bewundern, wie hier die Kunst edle
Männer noch mehr veredle, was doch nur auf eine ideale Auffassung des Portraits
bezogen werden kann. Alkibiades ferner ward von den Künstlern mit Vorliebe
seiner Schönheit wegen gebildet, welche ihn sogar befähigte, das Modell zu
einem Eros abzugeben. Ein Diitrephes aber, von Pfeilen durchbohrt und
sterbend (vom Splanchnoptes gar nicht zu reden), kann kaum noch ein Portrait,
wenigstens nicht im gewöhnlichen Sinne, genannt werden. Wo hingegen
 
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