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Brunn, Heinrich von
Geschichte der griechischen Künstler (Band 1): Die Bildhauer — Stuttgart, 1889

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https://doi.org/10.11588/diglit.4968#0222

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218

Die Bildhauer.

wesen zu sein. Es kann daher keinem Zweifel unterworfen sein, dass auf die
verschiedenartige Elitwickelung der attischen und argivischen Kunst die äusseren
Verhältnisse, das Maass der dargebotenen Mittel . von einem sehr wesentlichen
Einflüsse waren. —

Wir hegannen die allgemeine Betrachtung dieser Periode mit der Hinwei-
sung darauf, dass sich das gesammte künstlerische Lehen um zwei Mittelpunkte,
Athen und Argos, gruppirt. Diese Erscheinung ist von der grössten Wichtigkeit,
nicht hlos, weil sie uns zeigt, wie mächtig einzelne Geister zu wirken vermögen,
sondern ganz besonders auch deshalb, weil sich dadurch hauptsächlich erklärt,
die griechische Kunst, auch nachdem sie schon das Höchste erreicht, nicht zer-
fällt, sondern in stetiger Fortentwickelung erseheint. Der Zusammenhang, die

311 Herrschaft der Schule bewährt sich als das erhaltende Princip, welches das ge-
wonnene Gute festhält und unzeitige Neuerungen schwerer Eingang finden lässt.
So beschränkt sich die Schule des Myron, wie die des Polyklet, rücksichtlich
des Stoffes fast ausschliesslich auf das Erz, während die übrigen Zweige der
Sculptur in der Schule des Phidias ihre Ausbildung erhalten. Hinsichtlich der
Form wirkt in Argos die Lehre des Polyklet; in Attika bleibt sie, wie bei Phi-
dias und Myron, der Idee untergeordnet. Selbst in der Wahl der Darstellungen
bewahrt man gewisse Grenzen. Der Kreis derselben erweitert sich kaum wesent-
lich über das hinaus, was schon in der Periode vor Phidias sich festgestellt
hatte; nur dass die alten Formen von einem durchaus neuen Geiste belebt er-
scheinen. Aber noch immer giebt es kaum Beispiele, dass ein Kunstwerk blos
um seiner selbst willen, um damit nichts als eine rein künstlerische Aufgabe
zu lösen, gearbeitet worden sei. Fast immer lässt es sich nachweisen, dass,
ehe der Künstler Hand anlegte, der besondere Zweck schon bekannt war, für
welchen er sein Werk bestimmte. Freilich scheint es vielleicht im Widerspruch
mit der behaupteten Herrschaft der Schule zu stehen, dass die durch mehrere
Generationen fortlaufenden Reihen von Schülern, wie z. B. die des Aristokles,
des Kritios, welche noch aus der vorigen in die jetzige Periode herüberreichen,
gerade jetzt verschwinden. Unter den Nachfolgern des Polyklet giebt es einige
kurze Reihen; aber es scheint dieses keinen Unterschied zwischen den be-
treffenden Künstlern und ihren Landsleuten zu bedingen. Von Phidias und
Myron dagegen kennen wir nur Schüler, aber weiterhin nicht Schüler dieser
letzteren. Wir mögen uns dies daraus erklären, dass bei dem weitverzweigten
künstlerischen Treiben dieser Periode besondere Vortheile und Vorzüge in dem,
was mit dem gewöhnlichen Ausdrucke als das künstlerische Machwerk bezeichnet
wird, nicht lange mehr Eigenthum oder Geheimniss Weniger bleiben konnte,
sondern Gemeingut werden musste, welches der Einzelne auch dann sich an-
zueignen vermochte, wenn er nicht im engen Zusammenhange mit einer be-
stimmten Schule stand. Wo nun gar, wie in Athen, zwei unter gewissen Ge-
sichtspunkten gleichberechtigte und gleich ausgezeichnete Schulen bestellen,
da kann eine Wechselwirkung nicht ausbleiben. Deshalb verschwinden auch

312 bei den Nachfolgern der Schüler des Phidias und Myron allmählig die Grenzen
der durch dieselben begründeten Richtungen; und ihr Einfluss lässt sich, so
sicher er auch noch ferner gewirkt haben wird, im Einzelnen nicht weiter ver-
folgen.
 
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