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Brunn, Heinrich von
Geschichte der griechischen Künstler (Band 1): Die Bildhauer — Stuttgart, 1889

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https://doi.org/10.11588/diglit.4968#0253

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IV. Die griechische Kunst in ihrem Streben nach äusserer Wahrheit. 24!)

zuerst wieder auf die Aphrodite und ihre Schilderung hei Lucian. Da ist es nun 355
nicht die geistige Hoheit, die geistige Bedeutung, welche den Beschauer zur Be-
wunderung hinreisst; vielmehr erstreckt sich diese auf die Lieblichkeit des Aus-
drucks, das feine, reizende Lächeln des Mundes, den Glanz und die Freundlich-
keit des Auges. Jenes vygdv aber, jenes Schwimmen des Auges in Feuchtigkeit.
Welches den Blick nicht scharf und fest auf einem Punkte ruhen lässt, bewirkt
recht eigentlich den Ausdruck sinnlichen Verlangens. Dieses selbst mag bei der
Göttin noch als etwas fast Unbewusstes erschienen sein, als das innere, in der
Natur begründete Bedürfniss des Weibes nach Liebe, ähnlich, wie auch in den
Eroten das erwachende Liebesverlangen von Callistratus geschildert wird i). Doch
nicht überall hielt der Künstler diese Grenze ein, welche religiöses Gefühl ihn
hier noch bewahren Hess. In dem Bilde der lächelnden Buhlerin, welche einer
Weinenden Matrone gegenüberstand, muss nicht nur dieses allgemeine Liebes-
verlangen, sondern ein Verlangen nach sinnlichem Liebesgenuss in sehr scharf
erkennbaren Zügen ausgeprägt gewesen sein. Wie aber hier die Liebe, so war
bei den Gestalten aus dem Kreise des Dionysos froher, heiterer Genuss des
Lebens dasjenige, was den Grundzug des ganzen Charakters ausmachte. Beim
Gotte selbst mangelt der Ausdruck der geistigen Kraft und Energie, das Auge
deutet schon in der äusseren Form auf eine gewisse Schlaffheit und Ermattung,
welche schwärmerischer Aufregung zu folgen pflegt und deren Wiederkehr vor-
aussehen lässt. Bei dem Geschlecht der Satyrn mischt sich damit der Aus-
druck einer neckischen, schalkhaften Sinnlichkeit, und jenes derbe, fast thie-
rische Verlangen, welches diesen Geschöpfen in älteren Bildungen eigen ist,
erscheint bei Praxiteles bis zur Lieblichkeit und Anmuth verfeinert. Von einer
lebhaft hervorbrechenden Leidenschaft, wie in der Maenade des Skopas, finden
wir hier keine Spur. Zwar heisst es in dem Epigramme auf die Silene, dass
des Praxiteles Kunst den Stein bacchische Lustigkeit (fovdZeiv) gelehrt habe;
dass die Silene wirklich tanzen und schwärmen (xrofia'££iv) möchten, wenn sie
nicht von Stein wären. Aber gerade bei diesen älteren Daemonen dürfen wir 356
gewiss weniger den Charakter einer leidenschaftlichen Ausgelassenheit, als einer
muntern, gemüthlichen Behaglichkeit voraussetzen. Die Nymphen in einem
anderen Epigramme heissen yeXaaai und unter ihnen befindet sich die xaÄfj»
■^avai]. Mochten aber auch diese Nymphen den Pan umtanzen, mochten die
Maenaden und Thyiaden nicht weniger in lebendiger Bewegung erscheinen, so
Werden wir nirgends übersehen dürfen, welcher Art der geistige Antrieb ist,
Von welchem die Bewegung ausgeht. Ich erinnere hier an die häufig, auch in
Gesellschaft des Pan wiederkehrenden Relieffiguren von Tänzerinnen, welche
nian gewöhnlich Hören nennt2), um zu zeigen, wie eine schöne, lebendige Be-
wegung ohne geistige Erregung recht wohl bestehen kann. Und um hier nicht
nochmals den Beweis dafür an der formellen Durchführung im Einzelnen liefern
zu müssen, möge es mir gestattet sein, auf die anderwärts 3) von mir gegebene
Analyse zweier bacchischen Figuren eines Marmordiskos zu verweisen, welche,

„ 1) iyavQovro tfi t(s yO.ioTtt, (utivqov ri xa\ un'i.t/ov ü üuuuum' itavyittjav: St. 4.
Qftfitt d'i lueoüäesi tttöol avfifiiyit, utfQodtatov iotmtxov yfuw yugiToi; St. 12. -) z. B.
Mus. Chiaram. I, 44. Schöll Mitth. V, Fig. 12. »J Ann. deir Inst. 1851, p. 123 etc.
 
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