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Brunn, Heinrich von
Geschichte der griechischen Künstler (Band 1): Die Bildhauer — Stuttgart, 1889

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https://doi.org/10.11588/diglit.4968#0322

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318

Die Bildhauer.

den Charakter des sich tödtenden und des sterbenden Galliers finden soll, in
das gerade Gegentheil umkehren. Bei ihnen tobt der Sturm im tiefsten Innern,
mag auch das Aeussere sich dem Auge des Beschauers in noch so maassvoller
Kühe zeigen. Schwer ist es, den Kampf der widersprechendsten Gefühle in dem
Antlitze des sterbenden Galliers zu beschreiben, einem Seelengemälde, welches
noch unmittelbarer zum Gemüthe des Beschauers spricht, als der verzweifelungs-
volle Schmerz eines Laokoon. Das Haupt ist vor Ermattung gesenkt; die Augen
sind noch nicht starr, aber von geistigem, wie von körperlichem Schmerze über-
wältigt, unfähig noch zu beobachten, was rings herum vorgeht, matt und kraftlos
niedergeschlagen, um bald gänzlich zu brechen; die Lippen trocken und vor
Schmerz erstarrt: nur wenige Augenblicke, und es entflieht auch der letzte
Hauch des Lebens. Aber wie verschieden ist der Ausdruck von der heiteren
Ruhe, welche einen Sokrates selbst bis zum letzten Athemzuge nicht verliess?
Denken wir uns den Krieger nur um wenige Augenblicke früher, oder besser:
blicken wir auf die ludovisische Gruppe des sich tödtenden Barbaren. Ver-
455 geblich ist der Sturm trotz aller seiner Wildheit gewesen; er ist nicht nur
zurückgeworfen, sondern der Angreifer selbst sieht sich sogar überwältigt. Die
»Schmach ist ihm schrecklicher, als der Tod; und die Schneide des Schwertes,
welche noch eben drohend gegen den Besieger gezückt war, wendet er jetzt
gegen sich selbst, sein Leben mit einem sicheren Stosse zu enden. Noch wenige
Augenblicke, und wir finden ihn in derselben Lage, in welcher wir den Sterbenden
erblickten. Aber auch da ist sein Stolz im Innern nicht, gebrochen; nur äusser-
lich schwindet er mit dem Schwinden der Kräfte, und nur in dem Maasse gebt
der Trotz in tiefen Seelenschmerz über, als die Möglichkeit entschwindet, die
erlittene Schmach und Demütliigung je wieder zu rächen. — Wir haben hier
freilich nur ein concretes Beispiel vor Augen. Aber niemand wird behaupten,
dass hier der ganze Charakter einzig durch die bestimmte Handlung bedingt
sei. Vielmehr ist die Handlung selbst gerade erst aus dem innersten Charakter
hervorgegangen. Den Sieg der Barbaren angenommen, würde sich ihre Leiden-
schaft eben so an den Besiegten offenbaren, wie sie sich jetzt gegen ihr eigenes
Leben richtet. Barbaren sind es, welche kämpfen, und sie kämpfen als Bar-
baren. Wie in ihrem körperlichen Ercbeinen, so bilden sie auch in ihrem Han-
deln den Gegensatz des Griechenthums. Bei den Hellenen hat jede höhere,
leidenschaftlichere Erregung ihren Zügel in der Herrscbatt des Geistes; der
Geist mässigt, bewahrt aber auch zugleich die Kraft, um selbst nach einem
ersten unglücklichen Erfolge mit erneuter Anstrengung dem vorgesetzten Ziele
nochmals nachzustreben. Der Barbar entfesselt seine Leidenschaft bis zur
höchsten Spitze, um sein Ziel zu erreichen oder daran zu zerschellen. Der
Grundzug in dem Charakter der Barbaren ist also ein rein pathetischer; und
dieser Grundzug musste in der Darstellung ihrer Niederlage um so mehr zu
Tage treten, als nicht nur dieser Gegenstand an sich ebenfalls schon ein pathetisch-
tragischer ist, sondern auch das Unglück als ein durch eben jenen Grund-
charakter des Volkes selbstverschuldetes, unvermeidliches erscheint. Leider sind
wir über das Ganze der Composition, sowie über ihre ursprüngliche Ausdehnung
nicht unterrichtet. Vermuthungen, wie diejenige, dass wir in den erhaltenen
Figuren Theile einer Giebelgruppe vor uns haben, sind zu vager und unsicherer
 
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