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Brunn, Heinrich von
Geschichte der griechischen Künstler (Band 1): Die Bildhauer — Stuttgart, 1889

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https://doi.org/10.11588/diglit.4968#0359

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V. Die Kunst der Diadochenperiode bis zur Zerstörung Korinths

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aber hier die Kunst zur Verherrlichung politischer Grossthaten wenig in Anspruch
genommen werden konnte, ward ihr dagegen eine um so grössere Förderung
durch den Ueberfluss materieller Mittel zu Theil. Freilich verlangten dafür auch
diejenigen, welche diese Mittel darboten, dass das Kunstwerk ein Zeugniss für
diesen Ueberfluss ablege, und der Künstler vor Allem etwas Imposantes, Gewal-
tiges leiste. Aus dieser Forderung mussle sich, man möchte sagen, mit Noth-
wendigkeit eine doppelte Richtung der Kunst entwickeln. Die eine strebt nach
Kolossalität: so finden wir schon am Ende der vorigen Periode, dass eine andere
Handelsrepublik, Tarent in Unteritalien, sich mit Kolossen von der Hand des
Lysipp schmückt. Das gegebene Beispiel überbietet Rhodos, wie der Schüler
Ghares seinen Lehrer Lysipp, durch den Koloss des Sonnengottes, den grössten,
den das Alterthum bis auf Nero's Zeit gesehen. Zu ihm gesellen sich aber.
Wie Plinius1) angiebt, hundert andere, zwar minder gewaltig, aber doch so
bedeutend, dass jeder für sich allein genügt haben würde, den Ruhm des Ortes
seiner Aufstellung zu begründen. Der Zweck, die Schutzgötter der Stadt und
vielleicht die Stammesheroen glänzend zu ehren, sowie den Ruhm des Staates
durch die Grossartigkeit der dafür aufgewendeten Mittel weit zu verbreiten,
niochte durch solche Werke auf das Vollständigste erreicht werden. An sich
mochten sie ebenfalls als Kunstwerke vollendet sein. Aber über der Bewun-
derung der Kolossalität gelangt der Beschauer schwerer zu reinem Kunstgenuss;
Und ihrer Natur nach können Kolosse meist nur eigentliche Standbilder und
einzelne Figuren sein, bei welchen es nicht beabsichtigt werden kann, das
Ciemüth des Beschauers durch eine lebhaft bewegte Handlung zu erregen
und in Spannung zu erhalten. Letzterem Zwecke zu genügen, war dagegen
die Aufgabe der anderen Richtung der rhodischen Kunst, als deren hervor-
ragendste Leistungen uns die Gruppen des Laokoon und des farnesischen Stiers
entgegentreten. Bei ihrer Betrachtung wird sich Niemand dem Eindrucke ent-
ziehen können, dass sie in ihrer ganzen Auffassung sich von allen Kunstwerken
der früheren Epochen wesentlich unterscheiden. Selbst die Veranlassung, welche
die Künstler zur Wahl solcher Darstellungen bestimmte, scheint von besonderer
Art gewesen zu sein. Im religiösen Cultus konnte dieselbe schwerlich liegen.
Die Niobiden, wie die Gallier, sofern wir an die delphische Niederlage denken,
erscheinen geeignet, sei es zum Giebelschmucke, sei es zum Weihgeschenke
in einem Tempel des Apollo. In den Mythen des Laokoon, der Dirke und (um
hier noch eines anderen Werkes der rhodischen Schule zu gedenken) des Athamas,
dessen Bild Aristonidas gemacht, ist es aber weniger eine einzelne Gottheit,
welche das tragische Loos dieser Sterblichen bestimmt, als die unentfliehbare,
rächende Nemesis. Eben so wenig aber konnte der Staat aus politischen Rück-
sichten an der Darstellung von Mythen ein Interesse haben, welche zu der Sage
und Geschichte von Rhodos durchaus in keiner Beziehung stehen. So möchte
es scheinen, dass hier ein rein künstlerischer Drang, von allen fremden Rück-
sichten unabhängig, allein bestimmend gewirkt habe. Aber wenn auch der
Künstler durch seine Werke dem Kunstsinn seiner Zeitgenossen erst seine
bestimmte Bahn anweisen soll, so steht er doch selbst wieder unter dem Ein-

i) 34, 42.
 
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