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Brunn, Heinrich von
Geschichte der griechischen Künstler (Band 1): Die Bildhauer — Stuttgart, 1889

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https://doi.org/10.11588/diglit.4968#0360

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35G

Die Bildhauer.

flusse seiner Zeit und der besonderen Verhältnisse seiner Umgebung, namentlich
da, wo es sich um die Ausführung von Werken handelt, welche nicht ohne
bedeutende Mittel hergestellt werden können. So möchte man gerade von den
genannten Werken der rhodischen Schule sagen, dass sie die Zeit und das
Land, in welchem sie entstanden, nicht verleugnen können. Man gewährt dem
Künstler die reichlichsten Mittel, um allerdings unabhängig von bestimmten
Forderungen der Religion und der Politik sich seine Aufgabe zu wählen. Aber
zur vollen Freiheit gelangte er dadurch dennoch nicht. Denn an die Stelle
der Götter oder des Staates, sei es in der Gesammtheit seiner Bürger, sei es
in seiner Vertretung durch die Person eines Herrschers, traten die Menschen
mit den Wünschen nach Befriedigung ihrer besonderen geistigen Bedürfnisse,
mit dem Begehren und den Forderungen ihrer Leidenschaften. Dass diese sich
überall mit denjenigen der wahren, höheren Schönheit in Einklang befinden

10 sollten, ist aber am wenigsten zu erwarten, wo, wie in Rhodos, selbst das An-'
sehen des ganzen Staates auf dem materiellen Gewicht des Reichthums beruhte.
Hier verlangte man natürlich auch von der Kunst, dass sie Zeugniss ablege für
diesen Reichthum, dass sie Genuss gewähre und die durch Geschäfte und
Sorgen des alltäglichen Lebens erschlafften Geister errege und spanne. So bildet
sich hier in der Kunst zuletzt diejenige Richtung aus, welcher in der Poesie
am meisten das Drama entspricht. Auch dieses gelangt verhältnissmässig spät,
nach dem Epos und der Lyrik, zur Entwickelung; und, obwohl es ursprünglich
aus religiösen Festgebräuchen hervorgeht, verfolgt es doch bald seine, von diesen
Ursprüngen gänzlich unabhängigen Zwecke, Furcht und Mitleid zu erwecken,
und durch die auf diesem Wege erzeugte Erschütterung die Gemüther der
Menschen zu läutern und zu reinigen. Eben so sind es in den Darstellungen
der Kunst nicht mehr die bestimmten Persönlichkeiten an sich in ihrer sittlichen
und religiösen Bedeutung oder in ihrer körperlichen Schönheit, welche die über-
wiegende Aufmerksamkeit des Beschauers in Anspruch nehmen sollen, sondern
die aussergewöhnliehen Lagen und Verhältnisse, denen sie sich gegenüber be-
finden: diese sind es, welche, mit Ueberwindung der gewaltigsten Schwierig-
keiten durch die Kunst, in ihren bedeutsamsten Momenten erfasst und verkör-
pert, den Beschauer zur Bewunderung hinreissen sollen. Durch diese pathetisch-
dramatische Auffassung bilden diese Werke gewissermassen den Schlusspunkt
in der von Stufe zu Stufe fortschreitenden Entwickelung der gesammten griechi-
schen Kunst, über welchen hinaus eine noch höhere Anspannung zu einer Ver-
nichtung des Wesens der Kunst selbst hätte führen müssen.

So treten uns die Werke der Künstler von Pergamos und Rhodos als die
eigenthümlichsten, bezeichnendsten Leistungen der Kunst dieses Zeitraums in
zwei verschiedenen Richtungen entgegen, wesentlich bedingt durch die politi-
schen Gegensätze ihrer Wohnsitze. Doch lassen sich beide hinsichtlich ihres
äusseren Zweckes auch unter einem gemeinsamen Gesichtspunkte zusammen-
fassen, sie gehören, so zu sagen, der grossen Kunst an, derjenigen, welche vor-
zugsweise für das öffentliche Leben bestimmt ist. Aber neben dem öffentlichen
Leben hatte sich jetzt auch das Privatleben mit selbständigen Forderungen,

11 mit dem Streben nach Genuss und Glanz ausgebildet. Ferner vermochte aber
auch die Kunst nicht überall in jener Spannung ihrer Kräfte zu verharren, wie
 
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