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Brunn, Heinrich von
Geschichte der griechischen Künstler (Band 1): Die Bildhauer — Stuttgart, 1889

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https://doi.org/10.11588/diglit.4968#0361

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V. Die Kunst der Diadochenperiode bis zur Zerstörung Korinths.

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sie sich zum Schaffen der hisher betrachteten Werke nothwendig erweist. Wir
fanden schon in der vorigen Periode neben dem gewaltigen Pathos eines Skopas
ein entgegengesetztes Streben nach ruhigster Anmuth; und möchten daher von
vornherein voraussetzen, dass auch in dieser Periode, je höher auf der einen
Seite die Anspannung wuchs, auf der anderen der Gegensatz ausgebildet worden
sei. Die überlieferten Nachrichten lassen uns darüber fast ganz im Dunkeln:
eine Fortsetzung der Schule des Praxiteles, welche hier zunächst in Betracht
kommen nrusste, kennen wir nicht. Um so erwünschter müssen uns einige
wenige, ganz beiläufige Nachrichten über einen Künstler sein, der wie die
übrigen ebenfalls Kleinasien zum Vaterlande hat, nemlich Boethos; denn sie
scheinen gleichsam vom Schicksal dazu bewahrt, uns wenigstens auf die richtige
Spur zu lenken. Die drei statuarischen Werke, welche von diesem Künstler
angeführt werden, sind Figuren von Kindern, unter denen eins, der Knabe mit
der Gans, uns noch in mehrfachen Wiederholungen erbalten ist. Hier haben
wir also im Gegensatz der gewaltigsten Werke, welche unser Inneres tief erre-
gen müssen, die höchste Naivetät, Werke, an welchen auch das kindlichste
Gemüth seine Freude haben wird, welche darum aber auch weniger zu öffent-
lichen Monumenten geeignet, als bestimmt erscheinen, in der Müsse des Privat-
lebens Erheiterung und Lust zu gewähren; und sollte auch z. B. der Knabe
mit der Gans, ähnlich wie das Gänsemännchen zu Nürnberg oder das andere
bekannte Männchen zu Brüssel, ursprünglich zum Schmucke eines öffentlichen
Brunnens bestimmt gewesen sein, so würde doch auch hier der Hauptzweck
seiner Aufstellung nur der sein, in einem Augenblicke der Müsse zwischen der
Arbeit des täglichen Lebens betrachtet zu werden. Leider fehlen uns weitere
Nachrichten, um in dieser Periode den Umfang derartiger Kunstthätigkeit weiter
zu verfolgen, in welche sich z. B. der dornausziehende Knabe des Capitols vor-
trefflich einfügen würde. Welchen Einfluss sie indess gewann, zeigen unzählige
Werke römischer Kunst, in welchen sogar ernstere mythologische Vorstellungen
vielfach, so zu sagen, in das Kindesalter übersetzt erscheinen. ■— Die Person
des Boethos muss uns aber noch an eine andere Seite des künstlerischen Lebens 512
erinnern: er gehörte zu den berühmtesten derjenigen Toreuten, welche Werke
von geringerem Umfange, wie Geräthe von Erz und Silber, durch die Arbeit
ihrer Hand zu wirklichen Kunstwerken erhoben. Die Thätigkeit auf diesem
Gebiete, wie auf dem verwandten der Steinschneidekunst, gewinnt gerade in
dieser Periode im Vergleich mit der früheren Zeit bedeutend an Umfang; und
wir werden in den Abschnitten über die betreffenden Künstler finden, dass eine
Reihe der berühmtesten Namen eben in diese Zeit fällt. Hier konnten wir nicht
umhin, auf diese Thatsache aufmerksam zu machen. Denn ihre Kenntniss ist
nothwendig, um uns das Bild von der Entwickelung der Kunst in der Zeit der
Diadochenherrschaft zu vervollständigen, und namentlich zu zeigen, wie ent-
schieden die Kunst jetzt beginnt, auch dem Luxus des Privatlebens zu dienen,
und wie verwandt ihre Stellung schon jetzt derjenigen wird, welche sie in der
folgenden Zeit unter den Römern einnimmt.

Wir mussten, um die wenigen uns erhaltenen Nachrichten in ihrem rich-
tigen Zusammenhange zu zeigen, über die äusseren Verhältnisse, in welchen
sich die Kunst bewegte, über den Einfluss, welchen dieselben auf den Umfang
 
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