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Brunn, Heinrich von
Geschichte der griechischen Künstler (Band 1): Die Bildhauer — Stuttgart, 1889

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https://doi.org/10.11588/diglit.4968#0362

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358

Die Bildhauer.

der Kunstübung äusserten, ausführlicher sprechen. Dafür werden wir uns jetzt
über den inneren Entwickelungsgang um so kürzer fassen können, da wir die
wichtigsten Punkte bereits früher in den einzelnen Erörterungen berühren
mussteh. Noch mehr erleichtern können wir uns unsere Aufgabe dadurch, dass
wir einfach auf die mehr durchforschten und daher allgemeiner bekannten Ver-
hältnisse der Poesie und Litteratur in der alexandrinischen Epoche verweisen.
Das Wesen der Kunst derselben Periode ist ein durchaus entsprechendes: der
hellenistischen Litteratur steht, gleich in ihren Vorzügen wie in ihren Mängeln,
eine hellenistische Kunst zur Seite. Den Grundcharakter bildet hier, wie dort,
gelehrtes Studium, kritische Reflexion; und es kann als ein besonderes Zeichen
dieser Verwandtschaft gelten, dass gerade in dieser Zeit die Kunst selbst ihre
eigene Litteratur erhält. Zwar kennen wir schon ältere Schriften, wie von
Polyklet und Euphranor, über Symmetrie, Proportionen u. s. w. Aber in ihnen
sollte nur das aus der Anschauung der Natur abgeleitete Gesetz als Grundlage

513 für die formelle Uebung der Kunst aufgestellt werden; es war eine auf künst-
lerischem Wege gewonnene elementare Theorie, welche dem noch lernenden
Künstler den Weg des Studiums abkürzen sollte. Dagegen beginnt um die
Zeit Alexanders, gerade auf der Scheide der vorletzten und der letzten Periode
das historische Studium der früheren Kunst. Man schreibt periegetische Werke
über einzelne an Kunstwerken reiche Städte und Länder, man macht Zusammen-
stellungen der berühmtesten Werke (mirabilia opera), stellt vergleichende Urtheile
über das besondere Verdienst der einzelnen hervorragenden Künstler auf, schreibt
systematisch und historisch über einzelne Kunstgattungen. Wollte man nun
behaupten, die praktische Ausübung der Kunst sei von diesen Studien, von
dieser ganzen Litteratur nicht berührt worden, so spricht dagegen ein gewich-
tiger Umstand: viele dieser Schriften haben gerade Künstler und darunter ein-
zelne von nicht unbedeutendem Rufe zum Verfasser, von denen wir doch gewiss
voraussetzen dürfen, dass sie namentlich auf die Bedürfnisse ihrer Kunstgenossen
Rücksicht genommen haben und besonders unter diesen das Studium der älteren
Werke der Kunst anzuregen bestrebt gewesen sein werden. Denn sie selbst
hatten schwerlich dasselbe aus einer blossen Liebhaberei ergriffen, sondern
gewiss in dem Gefühle, dass darin eine nothwendige Ergänzung für ihre eigenen,
zur Ausübung der Kunst erforderlichen Studien liege.

In der Art dieser Studien finden wir aber deutlich die ganze Geistes-
richtung dieser Zeit, das ganze Wesen des Hellenismus ausgeprägt. Wir haben
schon früher bemerkt, dass sich gegen die Zeit Alexanders die alten Bande in
allen Verhältnissen des Lebens, in Staat, Religion, Familie, immer mehr lösten.
Ein gänzlicher Verfall des griechischen Lebens schien als unausbleibliche Folge
bevorzustehen. Da vereinigt Alexander noch einmal das ganze Griechenland
zum Kampfe gegen das Barbarenthum. Er gewinnt den Sieg; aber wie er
selbst erkannt hatte, dass, wenn seine Eroberung fest begründet werden sollte,
die erobernde Gewalt sich mit dem Wesen und der Weise des eroberten Asiens
vereinbaren, und der Gegensatz zwischen den beiden bisher kämpfenden Parteien
zu einer wirklichen, inneren Einheit verschmelzen müsse, so vermag unter den
wirren Kämpfen seiner Nachfolger das Griechenthum in seiner ursprünglichen

514 Reinheit sich keineswegs zu bewahren, und nur in seiner Durchdringung mit
 
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