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Brunn, Heinrich von
Geschichte der griechischen Künstler (Band 1): Die Bildhauer — Stuttgart, 1889

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https://doi.org/10.11588/diglit.4968#0407

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VI. Die griechische Kunst zur Zeit der römischen Herrschaft.

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deutend hervortreten, so haben wir doch hinreichende Spuren einer ausgebreiteteren
Kunstübung, und fanden selbst an jenen Orten Künstler aus anderen Städten
Kleinasiens beschäftigt. Einzelne derselben scheinen bis nahe an die römische
Periode oder noch in deren Beginne gelebt zu haben. Von den Kleinasiaten,
welche wir hier aufgezählt haben, gehen aber einige ebenfalls bis auf dieselbe
Zeit oder wenigstens in das letzte Jahrhundert der Republik zurück. Wir dürfen
daher wohl annehmen, dass die directe Tradition der dortigen Kunstschulen nie
völlig unterbrochen war, und müssen aus diesem Grunde um so aufmerksamer 577
darauf achten, ob und wie weit sich ein Zusammenhang oder eine folgerechte
Entwickelang der vorigen Periode auch in der jetzigen nachweisen lasse.

Die beste Gelegenheit dazu bietet die Statue des sogenannten borghesischen
Fechters von Agasias, dem Sohne des Dositheos aus Ephesos: ein Werk, welches
sich uns schon beim ersten Blicke als von nicht gewöhnlicher Art darstellt.
Freilich lässt sich über die verschiedenen Beziehungen, welche den Künstler
bei der Composition geleitet haben, keineswegs bestimmt urtheilen; denn offenbar
ist die Statue nur der Tbeil eines grösseren Ganzen. Sollte sie aber selbst nur
eine Art akademischer Studienfigur sein, so müsste doch auch in diesem Falle
dem Künstler eine bestimmte Handlung wenigstens in der Phantasie vorgeschwebt
haben. Indessen auf eine bestimmte Benennung kann es gerade bei diesen
Untersuchungen weniger ankommen1). Das Grundmotiv der ganzen Handlung
spricht sich in dem Werke selbst mit hinlänglicher Klarheit aus: ein Krieger
befindet sich im Kampfe mit einem Feinde, der ihm von einem höheren Stand-
punkte aus, wahrscheinlich zu Ross, Widerstand leistet: und durch diesen Vor-
theil des Gegners bietet die Deckung gegen dessen Schläge nicht geringere
Schwierigkeiten, als das Erspähen der Gelegenheit eines wirksamen Angriffs.
Die ganze Bildung ist nicht göttlich, aber eben so wenig Portrait, mehr ein
Krieger in allgemein idealer Auflassung. Ein pathetisch tragisches Interesse,
wie etwa heim Laokoon, wird also hier nicht in Anspruch genommen; und eben
so wenig strebt der Künstler nach der erschütternden Wirkung, welche sich in
dem Untergange der wildanstürmenden Gallier offenbart. Die geistige Bedeutung
geht nicht über die dargestellte Handlung hinaus, welche allerdings Umsicht
im Kampfe, aber noch mehr grosse Entfaltung körperlicher Kraft und Gewandt-
heit erheischt. Wie aber diese Eigenschaften im Leben an die Beobachtung
bestimmter Regeln gebunden sind, so mussten sie auch in dem Kunstwerke
sich in geregelter Weise äussern. Das Kunstwerk verlangt vor Allem, dass
es seinen Schwerpunkt in sich selbst habe, dass alle Bewegungen und alle 578
Massen richtig abgewogen und mit einander ins Gleichgewicht gesetzt seien.
Wir können dem Künstler des Fechters das Lob ertheilen, dass er diesen An-
sprüchen genügt und sich innerhalb der Grenzen gehalten hat, welche die Kunst
vorschreibt und die Griechen fast nie überschritten haben. Wohl aber dürfen
wir behaupten, dass er in seinem Streben nach Lebendigkeit und Bewegung
so weit gegangen ist, als es nur irgend gestattet war. In diesem Streben ist
dem Fechter vielleicht kein Werk verwandter, als der Diskobol des Myron.

x) Wer daran erinnert, dass Lessing im Laokoon den Namen Chabrias vorgeschlagen
hat, der sollte nie vergessen anzuführen, dass Lessing seihst in den antiquarischen Briefen
.seinen Irrthmn erkannt und aufs Glänzendste widerlegt bat.
 
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