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Brunn, Heinrich von
Geschichte der griechischen Künstler (Band 1): Die Bildhauer — Stuttgart, 1889

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https://doi.org/10.11588/diglit.4968#0408

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404

Die Bildhauer.

Blicken wir aber auf die Art der Ausführung, so stehen beide wieder in einem
scharfen Gegensatze zu einander. Im Diskobol sind alle Kräfte gesammelt, der
ganze Körper ist wie zusammengezogen, um sich im nächsten Moment mit um
so grösserer Spannkraft wieder auszudehnen und den Wurf des Diskos zu unter-
stützen. Im Fechter sind die Füsse so wreit auseinandergestellt, als es nur die
Möglichkeit eines sicheren Fortschreitens erlaubt; die Arme bewegen sich in
diametral entgegengesetzter Richtung; der rechte nach hinten, während der
entsprechende Fuss vorschreitet, der linke nach vorn und nach oben, während
der Fuss rückwärts nach unten ausgedehnt ist. Der Kopf endlich blickt nicht
gradaus, sondern scharf nach der Seite und nach oben. So sind alle Glieder des
Körpers auf das Höchste ausgespannt und gedehnt; und wie sich der Beschauer
in Spannung darüber versetzt sieht, was wohl der nächste Augenblick bringen
möge, so erscheint der Kämpfer selbst bereit, durch ein Zusammenziehen des
ausgespannten Netzes seiner Kräfte allen Wechselfällen desselbenzu begegnen.

Nachdem wir aus dem Werke selbst im Allgemeinen gesehen haben, in
welcher Weise der Künstler seine Aufgabe aufgefasst hat, werden wir nun auch
nach den Gründen forschen dürfen, welche ihn zu dieser Auffassung bestimmten,
sowie nach den Mitteln, die ihm dabei zu Gebote standen, und dem Erfolge,
mit dem er sich ihrer bedient hat. Die Beantwortung dieser Fragen wird aber
nicht möglich sein, ohne zugleich das Verhältniss des Künstlers zur früheren
Zeit, namentlich aber zu der verwandten kleinasiatisch-rhodischen Kunst in Be-
tracht zu ziehen. Der Laokoon, der farnesische Stier waren Werke, an welchen
die Künstler ihre Meisterschaft in der Ueberwindung schwieriger Probleme zu
9 zeigen beabsichtigten. Ein gleiches Streben hat offenbar den Künstler des
borghesischen Fechters geleitet. Denn wenn man auch zugeben kann, dass
die Aufgabe, ein möglichst gedeckter Angriff gegen einen Reiter, an sich nicht
eine durchaus einfache ist, so ist doch eben sowohl zuzugeben, dass der Künstler
keineswegs den einfachsten Weg zu ihrer Lösung eingeschlagen hat. Ein
höheres geistiges Interesse hat er freilich auch so seinem Gegenstande nicht
abzugewinnen gewusst: selbst der Kopf zeigt uns nichts, als die durch den
Moment gebotene Spannung des Körpers, die der Beschauer theilt, ohne dass
jetzt schon die Gefühle der Furcht oder des Mitleidens bei ihm Raum gewinnen
könnten. Dagegen soll unsere Bewunderung erregt werden durch das Ausser-
ge wohnliche und doch Geregelte der ganzen Stellung, die richtige Vertheilung
aller Kräfte zwischen dem gewaltigen Vorwärtsdringen, der vorsichtigen Ab-
wehr und der wohl überlegten Vorbereitung zum Angriff, welche allein es mög-
lich macht, dass der Kämpfer mitten in der höchsten Erregung jeder dieser
drei Aufgaben gleichzeitig und in gleich hohem Grade gewachsen erscheint.
Nicht weniger endlich sucht der Künstler uns durch den Reichthum und die
Fülle einzelner Formen in Anspruch zu nehmen. Denn je stärker und compli-
cirter die ganze Bewegung ist, um so mannigfaltigere Kräfte werden auch für
dieselbe in Anspruch genommen, und ihr Wirken erscheint daher in einer Fülle
von Einzelnheiten auf der Überfläche des Körpers sichtbar. So Hesse sich
sogar darüber streiten, welcher Zweck bei dem Künstler der vorwiegende war,
ob derjenige, die Handlung in ihrer lebendigen Bewegung und Spannung dar-
zustellen, oder der andere, durch die Handlung das ganze Getriebe des Media-
 
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