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Curtius, Ernst
Gesammelte Abhandlungen (Band 2) — Berlin, 1894

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https://doi.org/10.11588/diglit.33815#0025

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I. Studien zur Geschichte der Artemis.

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einen höher entwickelten Oulturstand voraus, während der Fluis-,
Wald- und Thiergöttin auch Nomaden- und Hirtenstämme hul-
digen. Sie ist älter als Dionysos, dessen eindringendem Dienst
die Artemisdienerinnen feindlich entgegentreten. Oineus, der
Träger des Dionysosdienstes, ist ihr Feind und Oinos der spä-
tere Name des arkadisch-lakedämonischen Flusses, an welchem
Artemis ihren Sitz hatte. Sie ist eine ältere Landesgöttin als
Aphrodite, wie die Sage von dem eng mit Artemis verbundenen
Hippolytos bezeugt. Sie ist auch früher als Apollon auf Delos
zu Hause; denn von ihr hatte das Eiland seinen heiligen Namen
Ortygia. Der hyperboreische Oultus, bei dem Delos zuerst als
religiöser Mittelpunkt auftaucht, gait der weiblichen Grottheit
daselbst, worauf schon Olaus, De antiquissima Dianae natura
p. 39 hingewiesen hat, und wenn man sprichwörtlich von einer
'Jyryro/icMmg sprach (Lucian, Am. 2), so liegt darin

eine Anspielung auf den Oegensatz bäuerlicher Einfalt zu einem
mit fremden Sitten eindringenden Oultus.

Der patriarchalische Oharakter, welcher Artemis eigen ist,
zeigt sich auch darin, dafs sie vorzugsweise als ?rKr()oiK verehrt
wurde, und mitten in demokratischem Staatsleben erhielt sich bei
ihr das Althtirgerliche in festen Satzungen; ihre Priesterthümer
blieben in Pellene einem engeren Familienkreise vorbehalten
(Paus. VII27). AeltesteFamiliensitten der G-riechen schlossen sich
vorzugsweise an ihren Dienst an, wie die Mädchenweihe in Attika
und in Arkadien; religiöse Dienstleistungen wie die Kanephorie
erhielten hier ihre festen Typen. Artemis nebst den Mören
galt die Haarweihe der Jünglinge und Jungfrauen vor der
Hochzeit (Pollux III 38); ihr als Familiengöttin wurden die
hochzeitlichen Opfer dargebracht (Eurip. Iphig. Aul. 1113).

Eines der merkwürdigsten Zeugnisse für die uralte und
das ganze Volk im weitesten Umfange umfassende Verbreitung
des Oultus ist die Wiederkehr desselben Typus der gehügelten
oder ungeßügelten Gröttin, welche ein lebendes Thier oder
zwei wappenartig gepaarte Thiere (Vögel, zahme oder wilde
Vierfüfsler) am Hals, an den Füfsen oder am Schwanz hält.
Dieses Bild tritt uns in immer zahlreicheren Exemplaren auf
den ältesten Inselgemmen, als Relief an Weihgeschenken, als
Henkelornament auf Thongefäfsen, in knapperer oder ausführ-
licherer Fassung, in rohem oder entwickelterem Stil der alten
Kunst immer von Neuem vor Augen, wie eine alte Volksweise
 
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