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Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Editor]
Designtheoretisches Kolloquium — 14.1990

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Oehlke, Horst: Zum Thema des Kolloquiums
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https://doi.org/10.11588/diglit.31838#0010
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zum Reden. Es gibt sicher viel zu sagen, rich-
tig zu stellen, zu erklären, zu verstehen und
aufzunehmen.

In die Freude über das heute hier und so mög-
liche Treffen mischt sich ein Wermutstropfen:
lch bedauere ganz besonders, daß unsere pol-
nischen Kollegen, die zugesagt hatten zu kom-
men, nicht dabei sein können.

Zur Topologie des Wortfeldes um den Beariff

Vernunft - eine etwas unsvstematische Ein-

führung

Zu diesem Feld um das Wort Vernunft gehören
die Wörter wie Intellekt, Intelligenz, Ratio, Ra-
tionalität aber eben auch Klugheit und vor al-
lem Weisheit, vielleicht sogar etwas entfernt
Schlauheit und Pfiffigkeit. Zumindest dann,
wenn man die Wörter nicht nur für sich ethy-
mologisch untersucht, sondern ihren Stellen-
wert und ihre Verwendung in der lebendigen
Alltagssprache einbezieht.

Ein Wort wie Intelligenz, das zweifelsohne in-
haltlich dem Wort Vernunft nahesteht und
deren Bedeutungshöfe sich überschneiden,
hat außerdem heute Bedeutungen, die soziale
Zugehörigkeit bezeichnen, ja sogar als Be-
schimpfung dienen kann. Damit erweist sich
im Rückschluß der Zusammenhang zwischen
einer Paradigmenverschiebung und der Rolle
sozialer Gruppen. Damit landen wir auch beim
Design als professionelles Tätigkeitsfeld.

Die oben angeführten Bezeichnungen für
mentale Leistungen unterscheiden sich natür-
lich qualitativ wesentlich voneinander. Aber es
scheint so, als benötige man einige davon
nicht, um gestalterisches Denken und Handeln
zu charakterisieren, wenn auch vielleicht nur
psychologisierend allgemein.

Das betrifft das Wort Weisheit. Wenn man die-
ses Wort in Verbindung mit Design bringt,
macht man sich heute vielleicht schon lächer-
lich. Dennoch sollte man es wagen.

Weisheit ist komplex angelegt, erworben. Sie
beruht auf einer mehrwertigen Dialektik. Sie
kann sicher nicht mit Zeit unmittelbar in Zu-
sammenhang gebracht werden, aber ihr Vor-
handensein ist an Entwicklung mit zeitlichem
Bedarf gebunden, an Erfahrung. Im alten
China (glaubt man den Übersetzungen) stand

Weisheit nahezu immer kontra Macht. Der
Weise war derjenige, der immer den kürzeren
zog, ging es um Interessen. Auf den aber nicht
verzichtet werden konnte, wollte man über den
Tag hinausdenken.

Weisheit bringt Voraussicht (nicht fragwürdige
Prognose anhand von Zahlen und Daten)
durch Einsicht in Zusammenhänge.

Intelligenz dagegen denkt in der Regel einlinig,
höchstens bis zum übernächsten Schritt, in
nahezu immer nur zweiwertiger Dialektik. Die
größten Hoffnungen setzt man auf künstliche
Intelligenz, die dann nahezu ohne Zeitbedarf
mehrkanalig und vernetzt arbeiten kann.
Glaubt man, sich damit Weisheit zu verschaf-
fen?

Alle Wörter, die sich um das Wort Vernunft
scharen, tendieren zu zwei Extremen: Ratio-
nalität auf der einen Seite.Weisheit auf der ent-
gegengesetzten. Dazwischen könnte man
Vernunft setzen als Ausgleichendes, und in
dem Sinne, wie es umgangssprachlich durch-
aus geläufig und gegenwärtig ist.

Rationalität steht für Verengung von Sicht,
eben aus den Gründen der begrenzten Denk-
fähigkeit mit rein logischen Komponenten.
Weisheit für ihre Weite.

Für Rationalität existiert immer noch und im-
mer mehr Bedarf, ob man das will, es negiert
oder nicht.

Für Weisheit scheint kein Platz mehr zu sein,
denn sie erfordert Sammlung von Erfahrung,
eine integrale Denkfähigkeit und Reife des
einzelnen menschlichen Individuums und der
Gesellschaft.

Eine Gesellschaft, die sich der Knute von Dog-
matismen unterordnet oder/und sich gleich-
zeitig den bloßen syntaktischen Operationen
von Maschinen ausliefert, handelt nicht weise,
nicht einmal vernünftig. Die Dynamik heutiger
Prozesse in Politik, Wirtschaft, Kultur in der ge-
genseitigen Steigerung wissenschaftlich-tech-
nischer Innovationen, sozialer Umbrüche und
multipliziert durch die einlinigen Medien, bar
jeder kommunikativen Komponente (wider alle
Behauptungen) lassen vernünftiges Handeln,
geschweige denn weises Verhalten scheinbar
nicht (mehr) zu.

Mit Ausnahmen: Unbewaffnet sich waffenstar-
renden Gegnern auszusetzen, ist sicher nicht
vernünftig. Es kann aber sehr weise sein. Lei-
der birgt Weisheit ein erhöhtes Risiko im in-

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