Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Hrsg.]
Designtheoretisches Kolloquium — 14.1990

DOI Artikel:
Weber, Olaf: Design und politische Vernunft
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31838#0107
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Olaf Weber

Design und politische Vernunft

Es ist natürlich in dieser brisanten Zeit des Um-
bruchs unmöglich, von einer abgehobenen
oder stationären, also von einer irgendgear-
teten „neutralen“ Warte über das Thema „De-
sign und politische Vernunft“ zu sprechen. Ich
gehöre zu denen, die früher eine eher natur-
wissenschaftliche Position zum Design einge-
nommen haben.

Das hat mir in der Vergangenheit manchmal
den Vorwurf des Positivismus und des „scien-
tistischen Reduktionismus“, also der Ideolo-
gie- und Politikferne, eingebracht. Doch im
Zuge der Gorbatschov’schen Öffnung und der
herbstlichen Wende des Jahres 1989 bin ich
immer tiefer in reale politische Verstrickungen
geraten, die ich heute positiv beurteile. Ich
kann das Politische gerade in seinen subtilsten
Beziehungen nicht mehr als äußerliches Mo-
ment des gestalterischen Tuns empfinden,
sondern sehe es in immanenten Figuren der
formgebenden Vernunft- und zwar positiv, so-
fern es emanzipatorisch wirkt. Das Politische
ist eines der Ansätze zum ganzheitlichen, glo-
balen Denken, auf das Design nicht mehr ver-
zichten kann. Es ist selbstverständlich, daß ich
von dieser Ganzheit nur einige Gedankensplit-
ter darstellen kann. Sie sind, wenn überhaupt,
erst später und anderswo zu systematisieren.
Die erste naheliegendste Beziehung von De-
sign und Politik ist die ihrer Subjekte, des De-
signers und des Politikers. Politische Vernunft
im Design könnte durch das angepaßte Ver-
halten der Gestalter gegenüber den herr-
schenden politischen Kräften definiert sein
und dieser subalterne Opportunismus war im
alten und ist - offensichtlich auch im neuen
System real, doch ist er eben nicht politisch.

Die Beziehung von Design und Politik haben
wir in der DDR vor allem restriktiv erlebt, die
Designer waren als Designer ebenso entmün-
digt wie als Staatsbürger und hatten mit ih-
ren Ideen nur eng begrenzte Lücken in einer
politisch doktrinierten und ständig von unein-
sichtigen und unakzeptablen Kommandos
bestimmten Wirtschaft auszufüllen. Ein recht
planloser Pragmatismus wurde „Plan“ ge-

nannt; er drückte sich in unzähligen Kennzif-
fern aus und war vor allem deshalb ineffektiv,
weil er die Dynamik des Lebens weder über
das Instrumentarium der demokratischen Mit-
und Selbstbestimmung, noch über die Markt-
mechanismen eingefangen hat. Die materiel-
len und organisatorischen Mängel dieses Sy-
stems sind bekannt - zu ihnen gesellten sich
die geistigen.

Die Designtheorie hatte in der DDR zu beacht-
lichem Erkenntniszuwachs verholfen, doch
konnte sie in der Praxis wenig wirksam wer-
den. Halb flüchtete sie sich in die Nische des
Allgemeinen, halb wurde sie dorthin gescho-
ben, um vor den Verführungen und Infektionen
der problematischen Praxis geschützt zu wer-
den. Wo sie wirklichkeitsverändernd gar poli-
tisch auftrat, etwa in einigen provokanten The-
sen solcher Denker wie Lothar Kühne (und
auch frühere Kolloquien hier in Halle enthiel-
ten beachtliche Veränderungspotentiale), dort
paßte sie nicht zu den Überlebensstrategien
der Honecker-Ära.

Manch halboffizielle Konzeption, wie etwa
das Prinzip der Langlebigkeit von Produkten,
wurde im erbarmungslosen Krieg der Wirt-
schaftssysteme dem Akkumulationsfetisch ge-
opfert und erwies sich meist dort, wo Spuren
einer praktischen Umsetzung zu erkennen
waren, als wirklichkeitsfernes Konstrukt. Die
positiven Ideale der Anfangsjahre waren bald
zwischen den machtpoiitischen Fronten zer-
rieben und die erkennbaren politischen Funk-
tionen des DDR-Design besetzten sich eher
negativ. DerTrabi ist unser weltbekanntes Bei-
spiel dafür. Erst nagte dieses Design am
Selbstbewußtsein des kleinen Mannes und
verkitschte sein solidarisches Gefühl mit die-
sem Plastgefährten zu bloßer Hätschelei und
Bastelei, dann zerstörten die Westmedien voll-
ends das Image des in die Pose des „friedli-
chen Revolutionärs“ geschlüpften DDR-Bür-
gers und nahmen ihm seine persönliche
Würde, indem sie ihn an das, seine eigene
Kleinheit spiegelnde mobile Eigentum, den
Trabi, ketteten.

Dazu paßt ein zweites Beispiel. Im Mai dieses
Jahres, kurz vor der Kommunalwahl '90, orga-
nisierte eine der großen deutschen Parteien
auf dem Theaterplatz in Weimar, zu Füßen der
beiden Dichtergrößen, eine Schau der neue-

107
 
Annotationen