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Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Hrsg.]
Designtheoretisches Kolloquium — 14.1990

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Kruppa, Karsten: Zwischen Vernunft und Emotion - Design jetzt
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https://doi.org/10.11588/diglit.31838#0135
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Karsten Kruppa

Zwischen Vernunft und Emotion -
Design jetzt

Eine Vorbemerkung: Die folgenden Darlegun-
gen mußten auf Grund der limitierten Rede-
zeit gestrafft werden. Auf weiterführende Dif-
ferenzierungen wurde deshalb verzichtet. Die
Diktion von Thesen könnte so den Disput för-
dern.

Wir, die Bürger der einstigen DDR, wir leben -
mit Sartre - „en situation“.

Vieles zum Disput und Diskurs „Moderne -
Postmoderne“ aus anderen sozialen Bezügen
Gedachte und Formulierte trifft jetzt (oder doch
schon viel länger) auf die Lebens-, Empfin-
dungs- und Denkstrukturen der Konsumenten,
der Gestalter von Design und wohl auch der
Theoretiker zu:

- Wir befinden uns in einer komplexen Wert-
krise. Eine der Folgen:

Mit Rigorosität und typisch deutscher Kahl-
schlagideologie, wie ich meine, wird eine
Umbewertung der Werte in ganz Nietzsche-
anischem Sinnzusammenhang realisiert.

- Rückblickend erscheint mir für unser Bedin-
gungsgefüge Baudrillards folgende Fest-
stellung erheblich:

„Von einem bestimmten Punkt an arbeiten
Systeme nicht mehr an ihren Widersprü-
chen, sondern gehen in die Ekstase der
Selbstbespiegelung über“. /I/

Diese Sentenz gilt auch für das Design in
der einstigen DDR. Ich verzichte hier darauf,
Konzeptionen und Leistungen von Design
im Rahmen des VBK-DDR und des AIF zu
werten.

- Die in unserem Zusammenhang realistisch
zu sehende Situation der meisten Konsu-
menten oder Rezipienten läßt sich wohl
kaum treffender als mit einer Erkenntnis
Max Webers andeuten:

Er meint „westliche“ Lebensbedingungen,
wenn er sagt: Die Mehrheit der Menschen
sei diesem „Alltag“ nicht gewachsen, des-
halb riefen sie nach einem Führer und Leh-

rer, indem er ihnen gebe, was modern, was
obsolet wurde: Orientierung 121.

Wer kann der Führer und der Lehrer sein?
Natürlich - angesichts unserer Gegebenhei-
ten mit Sicherheit der Markt und nicht der
mit human-sozialen Sendungsbewußtsein ge-
wappnete „DDR-Designer“. Er scheint mir hi-
storisch erklärbar notwendig mit einer solchen
Ambition, aber leider erfolglos und dennoch
nahezu paradigmatisch für das Wollen und
Können in Hinblick auf Form und Funktion im
Kontext DDR.

- Eine „Neue Unübersichtlichkeit“ - mit Ha-
bermas gesprochen - herrscht nun auch
bei uns, ist Alltagserfahrung. Diese und vie-
les andere bedarf der Kompensation. Sie
erscheint mir wesentlich emotional geprägt
und bestimmt. „Die Befriedigung der zuneh-
menden Bedürfnisvielfalt erfolgt nun in den
Gestaltqualitäten der Mode, des Surrogats,
der Verzierungen, selbst des Plagiats.“ /3/
Hat Hegel unsere Zeit vorausgesehen? Es
könnte in Hinblick auf die Befriedigung von
Bedürfnissen so erscheinen. Doch Hegel
kannte den Denkansatz, die hehre Absicht
der Moderne wie den exemplarischen Pro-
test der Postmoderne gegen die Aufklärung
und damit gegen die Vernunft nicht.

Das „anything goes“ der Postmoderne wird
sich in der Dominanz auf dem Gebiet der DDR,
also in den neuen Bundesländern, - so ist
zu befürchten - nur sehr einseitig, eben von
Mode bis Plagiat, mit Billigem gewinnträchtig,
da massenhaft konsumiert, etablieren. Die der
Neo-Moderne und der Postmoderne imma-
nenten Leistungen von hohem künstlerischen
und dadurch gestalterischen Anspruch dürf-
ten sich nur punktuell bei entsprechend Situ-
ierten und gegebenenfalls Orientierten durch-
setzen. Vernunft im Design wird im Kreis die-
ser Konsumenten vor allem als Ware oder gar
als Statussymbol Fuß fassen. Die Folge dürfte
insbesondere für die neuen Bundesländer
nachhaltig und so in mehrfachem Sinne wenig
produktiv sein. „Modernisierungsschäden“, so
nennt Otto Marquardt /4/ Vergleichbares in der
westlichen Kultur, werden in unseren Regio-
nen nur schwer zu verhindern sein. Die Gefahr
der „ästhetischen Anästhesie“ 151 im privaten
wie im gesellschaftlichen Rahmen wird in der
ehemaligen DDR zum einen nicht so schnell

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