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Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Editor]
Designtheoretisches Kolloquium — 14.1990

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Kruppa, Karsten: Zwischen Vernunft und Emotion - Design jetzt
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https://doi.org/10.11588/diglit.31838#0136
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und zum anderen seit der Öffnung der Grenze
real zu befürchten sein. Dabei könnte ein Kon-
glomerat zwischen High-Tech und kleinbürger-
licher Trivialität dominieren.

Lenins Theorie von den zwei Kulturen erhält
hier eine ganz spezifische, für gegenwärtig
spätbürgerliche Kultur vorhandene Ausdif-
ferenzierung bzw. Entsprechung: die Kultur
der Elite und die der Masse.

Um eine Verabsolutierung und verengte Sicht
auf Werte zu verhindern, scheint mir die von
Welsch 16/ beschworene „transversale Ver-
nunft“ nicht nur als Terminus sinnvoll. Die
„transversale Vernunft“ - so Welsch - könne
zwischen Moderne und Postmoderne Schlüs-
selfunktion erlangen. Eine von Theoretikern
der Postmoderne, wie Lyotard, erhoffte und
geforderte Heterogenität mag im Kulturbetrieb
westlicher kapitalistischer Länder verständ-
lich, einleuchtend und erforderlich sein, hält
man Pluralität für lebensbildend. Doch unter
den momentanen Bedingungen in den neuen
Bundesländern kommt es meines Erachtens
nicht zu der notwendigen und wünschenswer-
ten Differenzierung und dadurch zur Vielfalt
durch Unterschiede, sondern viel eher zu Uni-
formität. Was entstünde wäre eine für die ein-
stige DDR doppelt kodierte 111 „Vergleichgülti-
gung“ 181. Zum einen ist ein nahezu kultiviertes
Maß an Gleichgültigkeit gegenüber Fragen
der Gestaltung DDR-spezifisch - und das hat
Langzeitwirkung zum anderen wirkt die
manipulative Kraft der „Warenästhetik“ 191.

In unseren Breiten wird es eine „Vergleichgül-
tigung“, wie sie Baudrillard für seinen Erfah-
rungsbereich feststellt, wohl zunächst nicht
geben. Er sieht eine „Vergleichgültigung“, die
nicht brutal, martialisch durch Zwang, sondern
raffiniert durch Vergleichgültigung in Erschei-
nung trete. Die Vergleichgüitigung in den
neuen Bundesländern wird sich eher durch
das Leitbild „Aus-dem-Westen“ und ganz be-
sonders durch die damit verflochtene Emotio
entwickeln. Es bleibt also zu bezweifeln, ob es
hier überhaupt zu Differenzierungen und zur
Annahme aller Differenzen kommt. Die Unifor-
mität entspricht vermutlich unter Ausschaltung
der Ratio und der Vernunft aus vielen Grün-
den einem Plagiatversuch des Vorbildes. Dies
reicht etwa von BRD-Möbelhausprogrammen
bis zum Strukturgefüge des entsprechenden
Modell-Bundeslandes. Die Konsequenz wird

selbst aus psychologischen Gründen eine Be-
jahung des Daseins - nicht des Hierseins -
eine Manifestation des Habens sein.

Ein „Entrüstungs-Pessimismus“, um es mit
Nietzsches treffendem Begriff zu benennen,
dürfte wohl lediglich auf den Autor belastend
zurückkommen und kaum produktiv werden.
Kritik ist wieder einmal nicht gefragt.

Es gilt, Realitäten zu sehen und Wege zu su-
chen. Sie sind vor allem für jeden in der Aus-
bildung von Designern Verpflichteten kompli-
ziert und deshalb auch hier zu differenzieren.
Wenn Studenten der Hochschule für Kunst
und Design Halle von westdeutschen Mana-
gern /10/ gesagt wird, sie müßten lernen, mit
ihrer Arbeit nicht Bedürfnisse zu befriedigen,
sondern Bedürfnisse zu wecken, sind das
Realitäten unter anderer Orientierung von Le-
ben und Formgestaltung.

Es zeigt sich, daß es notwendig ist, über Funk-
tionen neu - und dies immer wieder neu -
nachzudenken. Aus den Gestaltungskonzep-
tionen der Moderne heraus wurde nicht nur,
aber in der Dominanz, der Begriff von der
Funktion eingeengt, nur auf das rein puristi-
sche Utilitäre reduziert.

Kunst und Leben sind zwar heute in den west-
lichen Ländern, in der ehemaligen BRD, nach
meiner bislang noch punktuellen Erfahrung
ganz besonders intensiv verbunden worden.
Eine Ästhetisierung der gesamten Lebensum-
welt erscheint nicht nur als Norm. Diese reicht
bis zu einer offensichtlich differenzierten, doch
nur bei oberflächlicher Betrachtung dissonant
wirkenden Installation eines Gesamtkunstwer-
kes.

Die Lebensorientierungen der 20er Jahre, so
der Verzicht auf die Subjektivität zugunsten
der Kollektivität, haben sich - stark vereinfacht
gesagt - umgekehrt. Bedürfnisse haben sich
subjektiv, sozialgeschichtet, lokal u.a. diffe-
renziert, in der DDR gegenwärtig wohl eher
auf Waren-Objekte konzentriert. Funktion in
ihrem Begriffsumfang verändert sich im Pro-
zeß des Lebens und des Nutzens. Der Ge-
brauch von Dingen im Lebensprozeß belegt,
was der Alltag an „Mehrheit von Wertreihen“
/II/ und -spektren entstehen läßt. Der Begriff
von der Funktion darf meines Erachtens nicht
normativ gefaßt werden.

Es scheint sich erneut zu bestätigen: Weite
Begriffsfassungen - wie von Kunst, Ästhetik,

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