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Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Hrsg.]
Designtheoretisches Kolloquium — 14.1990

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Meurer, Bernd: Gestaltung Mythos Vernunft
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https://doi.org/10.11588/diglit.31838#0034
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Dafür möchte ich zwei unterschiedlich weit
entwickelte Beispiele anführen. Bei der 1982
entstandenen Inmos Fabrik von Richard Ro-
gers, in deren Architektur die technische Infra-
struktur als ein wesentliches Gestaltungsmittel
fungiert, verwandelt sich die Gestalt des Ge-
bäudes mit der fortschreitenden Veränderung
der Funktion und Form seiner infrastrukturel-
len Elemente. Rogers unterscheidet dabei be-
wußt in, wie er sagt, ,long live 1 und ,short live
elements 1. Die tragende Struktur wird von ,long
live elements' gebildet. Die infrastrukturelle
Ausrüstung, die sich aufgrund der sich wan-
delnden Bedürfnisse aus ,short live elements“
zusammensetzt, wird gestalterisch auch so
behandelt.

Bei dem sieben Jahre später entworfenen
Heiiowatt Projekt von Uwe Kiessler wird die
Frage der Flexibilität wesentlich weiter gefaßt.
Es wurde versucht, die tradierten ökonomi-
schen und sozialen Funktionstrennungen und
-interrelationen neu zu durchdenken und mit
dem Instrumentarium, das uns heute zur Ver-
fügung steht, gestalterisch neu zu definieren.
Dieses Projekt ist ein Beispiel funktionaler
Entgrenzung in der Architektur. Funktionsbe-
reiche, die üblicherweise geschieden sind, wie
Wohnen, Produktion, Konsum, Forschung,

Service, Kultur usf. und auf anderer Ebene
Öffentlichkeit und Privatheit wurden in einer
ebenso offenen wie differenzierten Baustruktur
als Funktionsensemble in Beziehung gesetzt.
Eines der Probleme, das es dabei zu behan-
deln galt, war, Großraumstrukturen wie Pro-
duktionsstätten mit mittelgroßen Raumstruktu-
ren wie Forschungs- und Entwicklungslabors
und Kleinstrukturen wie Wohnungen, Arzt-
oder Anwaltspraxen usf. flexibel miteinander
zu verschränken. Das Ergebnis ist ein Gebilde
hoher räumlicher und ästhetischer Komple-
xität, dessen Dächer überdies Gärten tragen,
auf denen Lauben stehen.

Ein weiterer Aspekt der industriellen Ent-
wicklung betrifft das Verhältnis von Uniformität
und Polyformität. Durch mikroprozessuale
Produktionssteuerung wird Massenfertigung
zunehmend auch als Kleinserien- und Einzel-
fertigung möglich. Unter den technischen Be-
dingungen der mechanischen Industrie war
industrielle Fertigung an gestalterische Typi-
sierung und Uniformität gebunden. Produkte
wie die 1851 patentierte Nähmaschine von
Isaak Singer, mit der die technische Grundlage
der Massenmode entstanden war, oder Henry
Fords Model T, mit dem 1908 die Massenmo-
torisierung eingeleitet wurde, waren exempla-

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