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seine Pfavvkindcv Beichte Horen zu können.
Es konnte sich also bei der erhaltenen Voll-
macht einzig und allein um die Absolution
päpstlicher Neservatfälle handeln.") Im
übrigen hatte Kraft seit 1500 in Ulm
sowohl ans der Kanzel als im Beichtstühle
gegen die „entsittlichenden" Folgen des
Äblaßwesens wirken können. Wenn trotz-
dem der Ulmer Pfarrer, dessen sitten-
strenger Charakter allgemein gerühmt wird,
sich nicht weigerte, mehrmals als Ablaß-
kommissär thätig zu sein, so wird man
wohl daraus schließen dürfen, daß das
damalige Ablaßwesen doch nicht so „ent-
sittlichend" war, wie man es heute
gegnerischerseitö darzustellen beliebt. Presset
hat dies auch gefühlt, daher schreibt er: „Um
diese Zeit (1501) hatte das Ablaßwesen,
dem an sich Luther selbst noch in seinen
Thesen von 1517, abgesehen vom Miß-
brauch, ein gewisses Recht beimißt, kaum
angefangen; erst in seiner plumperen Ge-
stalt weckte es überhaupt Widersprach."^)
Allein zwischen dem Ablaßwesen von 1501
und jenem von 1515 ist nicht der geringste
Unterschied zu entdecken.
Es liegt demnach kein Grund vor, an-
znnehmen, daß nach 1610 Ulrich Kraft
aus irgend eine Weise gegen den Ablaß
ausgetreten sei. Wie ist aber die bei
Dietrich verzeichnte Legende entstanden?
Keidel hat mit Recht hervorgehoben, daß
die ganze Erzählung ohne Zweifel auf
einer Aenßerung des K a s p ar B ru s ch iuS
beruht, die schon am Anfang des 17. Jahr-
hunderts von mehreren protestantischen
Polemikern verwertet worden ist. Die
Schrift, in welcher die betreffende Aenße-
rnng vorkommt und die Keidel nicht hat
anffinden können, verwahrt die Münchener
Staatsbibliothek.-') Bruschius, damals
(l555) protestantischer Prediger, erzählt
darin, wie es auch inmitten der „Finster-
nisse des Papsttums" stets einige Männer
gegeben habe, welche die Wahrheit erkannt
hätten. ,,5ic Hieronymus Lnvonnrola,
cum lenebrns rspwelrencleret et lucem
veritatis clivinae ostencleret, ro§o imp>o-
situs est." Aehnlich sei es Hus und
Hieronymus von Prag ergangen. In Oer-
mnniu Wesselus Oanslortius, Albertus
Lrnnr, jsoannes Oe^ler XaisersloerAius,
)onnnes Oapmio et nlii plures reprelren-
clere et tnxnrs sudincle tenedrns nusi
luerunt, etsi ick trepicke et tenuiter
lecerunt, ut ornnino, nisi et ipsi mnr-
t^res kieri voluissent, mockestissime ick
innere oportuit. Dalis in Olmensi
Hcclesin luit Ooctor Olricus Ornto,
publico probi pnroclri elo§io nc co§no-
mento in en Uepulalicn, in cgun
pntricio sanZuine etinm nntus luit,
Irockie ncklluc celedris, czui nute Ou-
tlrerum ickolomnnins et nuncki-
nntiones Uontilicins etpulalice
tnxnvit plurimns et nloroAuvit
etlnm non pnucns, veritntemcgue
ckiliZenter scrutntus in mnximo templo
Olmensi prneclnre ckocuit, vir literis,
pietnte et virtute clnrissimus et im-
mortnli Alorin ckiAnissimus."
Unter den hier erwähnten nunckinntiones
pontilreins verstand man später den „päpst-
lichen Ablaßkram"."") Da andererseits
„Tetzel allmählich im evangelischen Volke
eine typische, sagenumwobene Figur wurde,
die man überall witterte, wo Ablaßbriefe
verkauft wurden" (Keidel), und da der
sächsische Dominikaner hauptsächlich aus
dem Jahre 1517, wo Luther gegen ihn
auftrat, bekannt war, so verlegte man
Krafts angeblichen Kampf gegen die
nunckinntiones pontiircias in jenes Jahr
und schrieb denselben dem damaligen Pfarrer
Konrad Kraft zu.
Die ganze Ulmer Geschichte, die schon
so oft, auch von ernsten Forschern, ver-
wertet wnrdeFb) ist demnach, gleich manch'
andern Tetzellegenden, nichts anderes als
eine fabelhafte Erdichtung.
Anmerkungen.
') C. Th. Keim, die Reformation der Reichs-
stadt Ulm. Stuttgart 1851. S. 30.
2) In der Schrift über Tetzel, die ich z. Z.
vorbereite, wird dies näher begründet werden.
F. Körner, Tetzel, der Ablnßprediger.
Frankenberg 1880. S. 30 f.
u Th. Kolde, Lualecta Intbsrana. Gotha
1883. S. 1 ff.
ch Keidel, in „Württembergische Bierteljahrs-
hefte" IV, 185.
°) Erwähnt von Veesenmeye r in Ständlins
„Kirchenhistorischem Archiv". Halle 1825. S. 467/
') Schelhorn, Ergötzlichkeiten aus der Kir-
chenhistorie. Bd. I. Ulm 1762. S. 252 ff.
In den Jahren 1513—1515 wurde nämlich,
auch in Ulm, ein Ablaß für den Konstnnzer Dom
verkündigt.
Fr. Presset, vr. Ulrich Kraft, in den
„Münster-Blättern". Heft II. Ulm 1880. S. 4.
") Das ist die arch Noe: leret wie Gott Noe
gebotten hat die Arch zu bauwen, wie weyt und
seine Pfavvkindcv Beichte Horen zu können.
Es konnte sich also bei der erhaltenen Voll-
macht einzig und allein um die Absolution
päpstlicher Neservatfälle handeln.") Im
übrigen hatte Kraft seit 1500 in Ulm
sowohl ans der Kanzel als im Beichtstühle
gegen die „entsittlichenden" Folgen des
Äblaßwesens wirken können. Wenn trotz-
dem der Ulmer Pfarrer, dessen sitten-
strenger Charakter allgemein gerühmt wird,
sich nicht weigerte, mehrmals als Ablaß-
kommissär thätig zu sein, so wird man
wohl daraus schließen dürfen, daß das
damalige Ablaßwesen doch nicht so „ent-
sittlichend" war, wie man es heute
gegnerischerseitö darzustellen beliebt. Presset
hat dies auch gefühlt, daher schreibt er: „Um
diese Zeit (1501) hatte das Ablaßwesen,
dem an sich Luther selbst noch in seinen
Thesen von 1517, abgesehen vom Miß-
brauch, ein gewisses Recht beimißt, kaum
angefangen; erst in seiner plumperen Ge-
stalt weckte es überhaupt Widersprach."^)
Allein zwischen dem Ablaßwesen von 1501
und jenem von 1515 ist nicht der geringste
Unterschied zu entdecken.
Es liegt demnach kein Grund vor, an-
znnehmen, daß nach 1610 Ulrich Kraft
aus irgend eine Weise gegen den Ablaß
ausgetreten sei. Wie ist aber die bei
Dietrich verzeichnte Legende entstanden?
Keidel hat mit Recht hervorgehoben, daß
die ganze Erzählung ohne Zweifel auf
einer Aenßerung des K a s p ar B ru s ch iuS
beruht, die schon am Anfang des 17. Jahr-
hunderts von mehreren protestantischen
Polemikern verwertet worden ist. Die
Schrift, in welcher die betreffende Aenße-
rnng vorkommt und die Keidel nicht hat
anffinden können, verwahrt die Münchener
Staatsbibliothek.-') Bruschius, damals
(l555) protestantischer Prediger, erzählt
darin, wie es auch inmitten der „Finster-
nisse des Papsttums" stets einige Männer
gegeben habe, welche die Wahrheit erkannt
hätten. ,,5ic Hieronymus Lnvonnrola,
cum lenebrns rspwelrencleret et lucem
veritatis clivinae ostencleret, ro§o imp>o-
situs est." Aehnlich sei es Hus und
Hieronymus von Prag ergangen. In Oer-
mnniu Wesselus Oanslortius, Albertus
Lrnnr, jsoannes Oe^ler XaisersloerAius,
)onnnes Oapmio et nlii plures reprelren-
clere et tnxnrs sudincle tenedrns nusi
luerunt, etsi ick trepicke et tenuiter
lecerunt, ut ornnino, nisi et ipsi mnr-
t^res kieri voluissent, mockestissime ick
innere oportuit. Dalis in Olmensi
Hcclesin luit Ooctor Olricus Ornto,
publico probi pnroclri elo§io nc co§no-
mento in en Uepulalicn, in cgun
pntricio sanZuine etinm nntus luit,
Irockie ncklluc celedris, czui nute Ou-
tlrerum ickolomnnins et nuncki-
nntiones Uontilicins etpulalice
tnxnvit plurimns et nloroAuvit
etlnm non pnucns, veritntemcgue
ckiliZenter scrutntus in mnximo templo
Olmensi prneclnre ckocuit, vir literis,
pietnte et virtute clnrissimus et im-
mortnli Alorin ckiAnissimus."
Unter den hier erwähnten nunckinntiones
pontilreins verstand man später den „päpst-
lichen Ablaßkram"."") Da andererseits
„Tetzel allmählich im evangelischen Volke
eine typische, sagenumwobene Figur wurde,
die man überall witterte, wo Ablaßbriefe
verkauft wurden" (Keidel), und da der
sächsische Dominikaner hauptsächlich aus
dem Jahre 1517, wo Luther gegen ihn
auftrat, bekannt war, so verlegte man
Krafts angeblichen Kampf gegen die
nunckinntiones pontiircias in jenes Jahr
und schrieb denselben dem damaligen Pfarrer
Konrad Kraft zu.
Die ganze Ulmer Geschichte, die schon
so oft, auch von ernsten Forschern, ver-
wertet wnrdeFb) ist demnach, gleich manch'
andern Tetzellegenden, nichts anderes als
eine fabelhafte Erdichtung.
Anmerkungen.
') C. Th. Keim, die Reformation der Reichs-
stadt Ulm. Stuttgart 1851. S. 30.
2) In der Schrift über Tetzel, die ich z. Z.
vorbereite, wird dies näher begründet werden.
F. Körner, Tetzel, der Ablnßprediger.
Frankenberg 1880. S. 30 f.
u Th. Kolde, Lualecta Intbsrana. Gotha
1883. S. 1 ff.
ch Keidel, in „Württembergische Bierteljahrs-
hefte" IV, 185.
°) Erwähnt von Veesenmeye r in Ständlins
„Kirchenhistorischem Archiv". Halle 1825. S. 467/
') Schelhorn, Ergötzlichkeiten aus der Kir-
chenhistorie. Bd. I. Ulm 1762. S. 252 ff.
In den Jahren 1513—1515 wurde nämlich,
auch in Ulm, ein Ablaß für den Konstnnzer Dom
verkündigt.
Fr. Presset, vr. Ulrich Kraft, in den
„Münster-Blättern". Heft II. Ulm 1880. S. 4.
") Das ist die arch Noe: leret wie Gott Noe
gebotten hat die Arch zu bauwen, wie weyt und