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Beck, Paul [Hrsg.]; Hofele, Engelbert [Hrsg.]; Diözese Rottenburg [Hrsg.]
Diözesan-Archiv von Schwaben: Organ für Geschichte, Altertumskunde, Kunst und Kultur der Diözese Rottenburg und der angrenzenden Gebiete — 16.1898

DOI Artikel:
Bach, Max: Der Hochaltar des Doms zu Chur
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https://doi.org/10.11588/diglit.18488#0184

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178

eine reizvolle Gruppe musizierender (Kügel-
chen anznbringen, welche unter dem Wol-
kendach und der Mondsichel ihr Wesen
treiben.
Die der Madonna zunächst stehenden
Heiligen sind weibliche, und zwar die
hl. Eremita und Ursula; die hl. Eremita,
Märtyrerin unter Valeriau, ohne erkenn-
bares Attribut, die hl. Ursula, Führerin
der 11000 Jungfrauen mit dem Pfeil,
durch welchen sie ihren Märtyrertod erlitt.
An der Seite stehen die hl. Lucius und
Florinus; Lucius, König von Britannien,
entsagte der Krone und wurde der Apostel
von Rhätien, daher Scepter und Krone,
Florinus in Priestertracht mit dem Kelch;
derselbe lebte im 9. Jahrhundert in Tirol
und war ein Wohlthäter der Arme». Die
Flügel zeigen in Hautrelief je zwei männ-
liche Heilige, links den hl. Othmar, Abt
von St. Gallen, mit Stab und Faß, aus
welchem er Arme und Kranke mit Wein
labte, und den hl. Gallus mit dem Bären
und Wanderstab. Rechts sieht man die
hl. Sigibert und Placidus eine Kirche
tragen; Placidus noch besonders durch das
Schwert ausgezeichnet, durch welches er
von Sarazenen den Märtyrertod erlitt.
Sigibert in Priestertracht, ebenfalls einen
nicht genau erkennbaren Gegenstand in der
Hand haltend (gewöhnlich wird dieser
Heilige als König von Austrasien ange-
geben und ihm die Gründung von Kirchen
zngeschrieben, daher vielleicht das Kirchen-
Modell). Auch die Flügel haben außer
dem damascierten Goldgrund noch präch-
tige rot-goldene Teppiche als Hintergrund
für die Fignrengruppen, je von drei
Engeln gehalten. Die oberen Teile so-
wohl des Schreins als der Flügel sind
mit der reichsten, durchweg vergoldeten
Tabernakel-Architektur geziert. Die Außen-
seiten der Flügel haben treffliche Gemälde
von einem unbekannten oberdeutschen
Maler, Geburt Christi und Anbetung der
Könige. (Die mir vorliegende Photographie
gestattet leider nicht eine nähere Beschrei-
bung und knnstgeschichtliche Würdigung
dieser Gemälde.) Auf der Schlagleiste der
Flügel findet sich oben der anfcrstandene
Christus, nackt mit nmgehängtem Mantel.
Der Baldachin-Ueberbau des Altars ist
ebenfalls noch reichlich mit plastischem
Schmuck ansgestattet; als Mittelgrnppe

erscheint die hl. Maria betend, über ihrem
Haupte die weiße Taube, zu den Seiten
Gott Vater und Christus, daneben unter
besonderen Baldachinen je drei Apostel, da-
rüber die knieenden Figuren Maria und
Johannes der Täufer (?), über der Mittel-
gruppe nochmals die heilige Dreieinigkeit.
An der Rückseite des Schreins sieht man
in Hautrelief die Kreuzigung mit vielen
Figuren, eine ganz seltene Erscheinung,
vielleicht einzig in ihrer Art, da an diesem
Ort gewöhnlich nur untergeordnete Ge-
mälde angebracht werden. Das erklärt
sich aus dem Umstand, daß der ganze
Altar drehbar war, so daß zur Fastenzeit
die Rückseite mit den Passionsscenen dem
Volke vorgeführt werden konnte.
Weiter zu beachten ist das treffliche
Schreinwerk des Altars, welches sich nicht
wie sonst üblich nur ans den tabernakel-
artigen Ueberbau des Werkes beschränkt —
man denke an Blaubenren —, sondern auch
noch zu beiden Seiten des Schreins durch
angeordnetes Fialenwerk den künstlerischen
Gesamteindrnck wesentlich erhöht. Unter
zierlichen Baldachinen stehen ans schlanken
Säulen zwei Rittersiguren, worunter St.
Georg mit dem Drachen erkennbar ist;
den äußeren Abschluß bilden dann zwei
prächtig geschnitzte Säulen, welche in der
Mitte wieder kleine Heiligenfigürchen unter
Baldachinen tragen und oben in eine un-
gemein schlanke Spitzsänle ausklingen.
Daß der Meister dieses prächtigen Werkes
Bildschnitzer und kein Maler gewesen sein
muß, ist schon aus dem eben Angeführten
ersichtlich, die plastische Kunst überwiegt
in allen Teilen, sowohl produktiv als de-
korativ, die gotische Schnitzkunst zeigt sich
hier in ihrer höchsten Potenz, sie ist noch
frei von den späteren Ausartungen, wie
solche zu Anfang des 16. Jahrhunderts
anftraten.
Ein ganz besonderes Interesse nimmt
aber das Altarwerk noch dadurch in An-
spruch, daß wir urkundliche Zeugnisse da-
rüber haben, wer der Besteller und wer
der Künstler desselben war.
Pfarrer Busl hat im „Archiv für christliche
Kunst" 1888, ausführlich darüber gehandelt und
möchten wir nur noch kurz darauf zurückkommen.
Das bischöfliche Archiv in Chur verwahrt ein
Rechnungsbuch vom Bischof Ortiieb von Brandts,
Herrn von Vaduz, welcher 1458—1461 den
Churer Bischofsstuhl inne hatte. Dort finden
 
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