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Beck, Paul [Hrsg.]; Hofele, Engelbert [Hrsg.]; Diözese Rottenburg [Hrsg.]
Diözesan-Archiv von Schwaben: Organ für Geschichte, Altertumskunde, Kunst und Kultur der Diözese Rottenburg und der angrenzenden Gebiete — 22.1904

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Beck, Paul A.: Vorlagen zu Schillers "Räuber"
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https://doi.org/10.11588/diglit.18334#0156

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um seit 6 Jahren täglich tausend Tode zu sterben.
So lange hält mich dieser nuuatürliche Sohn in
einem Kerker gefangen, in dem ich mich sozusagen
nur von meinen Tränen nähre. Der Elende!
Er hat mein Ende nicht erwarten wollen, um
sein Erbe zu verschlingen; er hat einige seiner
Diener bestochen, die Verbrecher sind wie er.
Man hat das Gerücht von meinem Tode ver-
breitet, man hat eine Trauerfeier abgehalten, als
ob ich in der Tat nicht mehr sei, uud ich schmach-
tete in meinen: Kerker, kann? mit Wasser nnd
Brot versehen, und bedeckt mit diesen Lumpen.
Gestern vergaß man die Türe meines Gefäng-
nisses zu schließen; ich ward es diese Nacht ge-
wahr und sofort versuchte ich zu entkommen. Ich
erreichte dieses Zimmer — seit 6 Jahren sah ich
weder Feuer noch Bett; mein erster Gedauke
war, mich au beiden zu erfreuen, mein Wunsch
war dann, anf diesem Lager den Tod zu er-
warteu und meinen So'n zu beschwören, mir
ihn zu geben!" — Der Graf war in ein unsäg-
liches Mitleid versunken — ein Vater in solchem
Maße das Opfer der Habgier eines SohneS! —
„Mein Freund," ruft er, „uein, Ihr werdet uud
dürfet nicht sterben uud das Verbrechen wird
bestraft werdeu. — Erwartet alles von meiner
'Menschlichkeit, denn es bedarf nicht erst der
Freundschaft, um sich ob Eurer entsetzlichen Lage
zn empören, kehrt ruhig iu Euren Kerker zurück,
ohne den geringsten Verdacht zu erwecken, uud
seid versichert, bald werdet Ihr gerächt sein!" -
Der Graf eilt zu Hof, vor Gericht, unterrichtet
die Regierung von dem unerhörten Fall; der Vater
wird aus dem Gefängnis befreit, in den Gennß
seiner Güter wieder eingesetzt, nnd der Sohn ist
nun an seiner Stelle verschwunden. Man bezweifelt
nicht, daß er zu derselben Qnal befreit worden
sei, welche er seinen greisen Vater erdulden ließ.
Eine ewige Gefangenschaft wird dieses Scheusal dem
Schafott entziehen, welches es besteigen sollte."

Bei diesem Anlasse möchten wir den
merkwürdigen Umstand nicht unerwähnt
lassen, daß derselbe Schubart, von welchem
die oben angeführte Erzählung im „Schwab.
Magazin" herrühren soll, fast ganz das-
selbe Schauerdrama, wie es die »cirrom^ue
scÄnclkcleuss« erzählt, in einer (im Jahre
1783 entstandenen) Romanze: „Der Fluch
des Vatermörders" und ebenso A. F. E.Lang-
bein (vielleicht nach Schnbart?) in einer
Romanze: „Der Vatermörder" behandelt hat.

Man kann sich des Gedankens nicht
erwehren, daß die Annahme sehr vieles
für sich hat, Schiller habe seine „Räuber"
der Sickmgenschen Familientragödie ent-
nommen, welche ihm doch am nächsten,
jedenfalls viel näher wie die Schauer-
geschichte in der »Llrronique scÄn6a1euse«
lag! Jedenfalls war es ein feudales
Sujet, das für Schiller den Vorwurf
zu den „Ränbern" abgab, und bei welchem
der Verfall, die Entartung, die Verkom-

menheit und sittliche Verworfenheit der
Epigonen eines alten edlen Geschlechts
ven Mittelpunkt bildete; und das war
nun der bayerische Hiesel am aller-
wenigsten ! Da waren doch die Gegen-
sätze zwischen einem Hiesel (Plebejer)
und einem Grafen Karl v. Moor
(Vollaristokrat) zu groß und der beiden
Charakter zu grundverschieden, um au
eine Vorlage Hiesels für die Figur des
letzteren denken zu können: Hier der
übermütige, brntale, immer weiter in der
Verbrecherlaufbahn fortschreitende wild-
phantastische Wildschütze aus niederem
Stande, dessen einzige Virtuosität im
brillanten Schießen lag; dort der groß-
artig angelegte, durch Familieukatastropheu
und eigene Schnld zur Verzweiflung ge-
brachte, zum Weltverächter, Tyrannentöter
und Himmelsstürmer, ja zum Auswuchs
der Menschheit gewordene Erbe eines
alten Grafenhauses! Das Hauptmomeut
in Hiesels Verbrecherleben, das Wild-
schützenwesen, hätte nicht umgangen werden
können, sollte wirklich die Hiesel-Legende
wesentlich auf die Entstehung der „Räuber"
eingewirkt haben. Nebenher ist ja eine
Menge voil Typen und Figuren bezw.
Anspielnngen in das gewaltige Drama
hineinverflochten, bei welchen man an aller-
hand Vorlagen denken kann; so hat der
Dichter wohl sichnlich bei dem im II. Akt,
2. Scene vorkommenden, seiner Pretiosen
beraubten „Finanzrat", der Ehrenstellen
und Aemter an die Meistbietenden ver-
kauft, und den trauernden Patrioten von
seiner Türe stieß, entweder an die Kreatur
eines Wittleder oder an den großen
Judenganner, deu „Geh. Finanzrat" Süß
unseligen Angedenkens, oder an den
späteren württembergischen Premierminister
Grafen v. Montmartin, andererseits au
die Opfer herzoglicher Willkürherrschaft,
an den Laudschaftskonsulenteu J o h. Jak.
Moser, Oberamtmann Lud. Hub er ?c.
gedacht?! Die FiZur des Nazmaun
ist einem unbeliebten Aussichtsuuterofsizier
auf der Karlsschule entnommen. In dem
cinenMitgliede der Hiesel-Bande, Johann
Eberle, genannt der „Schweitzer",
glaubten einige, so Höfler „unbestreit-
bar", das Vorbild des „Schweitzer" in
den „Nänbern" erblicken zn sollen, welches
wieder andere in dem Spießgesellen Andreas
 
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