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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 7.1862

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https://doi.org/10.11588/diglit.13516#0331

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daß das Bild den Eindruck macht, als sei es nicht allein
in Bezug auf seinen geistigen Inhalt, sondern auch in
Bezug auf seine technische Vollendung unmittelbarer Ein-
gebung, ohne die Vermittelung mühsamer Kunstübung,
entsprungen. Ein Künstler erscheint um so größer, je we-
niger er uns an den Weg erinnert, der ihn zu seiner
Höhe geführt hat. Wir sehen in Biäfve vorzugsweise den
geborenen Meister, in Lessing umgekehrt vorzugsweise den
gewordenen.

Es kann überhaupt kaum einen größeren Gegensatz
geben, als den zwischen dem Biöfve'schen und dem Lessing-
schen Bilde. Bon der Fülle der Gestalten, der Lebendig-
keit der Bewegung, der Pracht des Kostüms sehen wir
uns mit einem Sprunge in prunklose Einfachheit, in be-
schauliche Ruhe und Stille versetzt. Hier wird nicht ge-
handelt, hier wird gedacht und gefühlt. Zeigt sich uns
B i s f v e als ein Vertreter des Realismus, so vertritt L e s s i n g
den Idealismus und Schlösser, wie wir nachher sehen
werden,'den Naturalismus. Der Deutsche, der in den
innersten Kern der Geschickte eindringen möchte, greift
zur symbolischen Darstellung, um dadurch mit einem
Schlage ganze Gedankenreihen wach zu rufen. Auf einer
Flußinsel steht in einer verfallenen Kapelle über der Erde
auf einem verwitternden Brettergerüst ein mächtiger Sarg,
den eine scharlachne Decke verhüllt, aus welcher der deutsche
Reichsadler eingewirkt ist. Es muß also ein Kaisersarg
sein, und zwar der Sarg Heinrichs IV., der im Kirchen-
banne starb, und dessen sterblichen Ueberresten die hohe
Geistlichkeit jahrelang die Beisetzung verweigerte. Der
Künstler hätte uns diese Schlußfolgerung erleichtern kön-
nen, wenn er aus dem breiten Streifen, der die Schar-
lachdecke kreuzwcis durchzieht, eine erläuternde Inschrift,
z. B. Honriens IV Imperator, angebracht hätte. Links im
Vordergründe führen einige Stufen in das Innere des
Gebäudes, und dicht hinter ihnen sitzt aus der Ecke des
Brettergerüstes in voraebogeuer Stellung ein noch jugend-
licher Mönch, der im Gebet versunken ist. Seinen — wie
uns scheint etwas ausdruckslosen — Kopf sieht man nur
im Profil. Durch einen hohen Bogen schauen wir aus
den Strom, die Maas, und in die Landschaft hinaus,
und sehen hart am Gemäuer den Nachen liegen, welcher
den Mönch herübergetragen hat. Wir erblicken im Hinter-
gründe die bergigen, bewaldeten Ufer mit einigen Häusern
auf halber Höhe und an ihrem Fuße. Schweres, doch
hellbeleuchtetes Gewölk schwebt über dem Lande und ge-
währt den Eindruck kämpfender Naturkräfte, welche den
Frieden der lieblichen Landschaft zeitweilig unterbrechen.

Es ist ohne Frage eine große geschichtliche Thatsache,
welche Lessing auf diesem Bilde zur Darstellung gebracht
hat. Durch den unbeerdigten Kaisersarg deutet er die
tiefste Erniedrigung der deutschen Kaisermacht au. Er
erregt nicht allein unser Mitgefühl für die Person des
unglücklichen Heinrich, den die Diener der Religion selbst
im Grabe noch keine Ruhe finden ließen, er versetzt uns
auch mitten in jene welterschütternden Kämpfe, in denen
die weltliche Macht auf eine Zeit unterlag, während die
geistliche im Zenith ihres Glanzes stand. Dieser Konflikt
hat bereits früher einen künstlerischen Ausdruck gefunden
in dem bekannten Bilde von Hildebrandt, das den
büßenden Kaiser im Burghofe zu Canossa darstellt. Wir
stehen jedoch nicht an, dem von Lessing gewählten Mo-
mente den Vorzug zu geben, denn wir sympathischen mehr
mit dem tobten Kaiser, als mit dem lebenden, der sich,
wenngleich widerwillig, vor einem Priester und einem Weibe

demüthigt. Der lebende Büßer macht uns den Eindruck
der Schwäche, um nicht zu sagen der Feigherzigkeit und
Entwürdigung; bei dem todten dagegen sehen wir versöhnt
über seine Schuld hinweg und erblicken die unversöhnliche
Herrschsucht, welche die Hierarchie noch an der wehrlosen
Leiche ausläßt, in um so grelleren Lichte. Beiden geschicht-
lichen Momenten fehlt allerdings die Versöhnung, und das
Bedürfniß der Versöhnung ist es ohne Zweifel gewesen,
welches Lessing den am Sarge betenden Mönch einge-
geben hat.

Dieser Mönch ist offenbar der kritische Angelpunkt des
Bildes, und es läßt sich streiten, ob der Künstler durch
ihn nicht der seinem Werke zu Grunde liegenden Idee
Eintrag gethan hat. Unser erster, unwillkürlicher Gedanke
war der, daß am Sarge Heinrichs des Gebannten kein
Mönch beten darf! Am Sarge Heinrich's des Gebannten
kann nur ein triumphirender Priester stehen! Das eben
ist ja der Sinn des unbeerdigten Kaisersarges! Aber der
Mönch ist historisch. Stenzel (Geschichte Deutschlands
unter den fränkischen Kaisern I. 605 folgg.) berichtet den
Tod Heinrichs mit den Worten der alten Vita Uvuriei
und der Hildesheimer Annalen folgeudermaaßen: „In

Lüttich. war laute Klage der Anhänger und Vertrauten
des Kaisers, der Vornehmen und Geringen, großer Jammer
der Armee, Wittwen und Waisen. Vieler Thränen flössen
auf die Leiche, Viele küßten die nun kalte, früher ihnen
so freigebige Hand und konnten sich kaum vom Anblicke
ihres Wohlthäters trennen. Der treue Bischof Olbert
ließ die Leiche feierlich mit kaiserlichen Ehren in der Kirche
des h. Lambert in Lüttich beisetzen. Auch das Grab ver-
ließen die Armen nicht. Sie benetzten es mit ihren Thränen,
beteten hier und zählten wehklagend auf, wie vieles Gute
ihnen der Verstorbene erwiesen. Des Königs (Heinrichs V.)
Bischöfe entschieden: der im Leben von der Kirche Aus-
geschlossene sei es auch im Tode. Daher mußten auf Be-
fehl des Königs der Bischof Olbert mit den andern an-
wesenden Bischöfen zur Buße die Leiche ausgraben und
in ein ungcweihtes Gebäude auf einer Insel der Mosel
(Maas) schaffen. Alle kirchlichen Feierlichkeiten hörten
auf, nur ein Mönch, der zufällig aus Jerusalem zurück-
gekehrt war, sang am Sarge Tags und Nachts Psalmen.
Dann ließ der König die Leiche nach Speier bringen. Wenige
alte Diener geleiteten die irdischen Ueberreste ihres Herrn,
vorzüglich der getreue Eckenbold. Geistlichkeit und Volk
empfingen die Leiche feierlich in Speier und setzten sie mit
kirchlichen Ehren im Dome bei. Das brachte den Bischof
der Stadt so ans, daß er allen Gottesdienst untersagte,
den Theilnehmern am Leichenbegängnisse Buße auferlegte
und den steinernen Sarg in eine noch ungcweihte Kapelle
außerhalb der Kirche bringen ließ. Großer Unwille und
lautes Wehklagen entstand unter den Bürgern, welche den
Kaiser sehr geliebt hatten, wie dieser sie und ihre Stadt.
Er hatte den Dom und das Kloster so köstlich mit Gold
Silber und edlen Steinen, seidenen Gewändern und künst-
licher Bildnerei geschmückt, daß sie zu den bewunderungs-
würdigsten Werken im Reiche gezählt wurden, auch eine
schwere, goldene, künstlich gearbeitete Altartafel, welche
ihm vom Kaiser Alexius geschenkt worden war, hatte er
der Kirche in Speier verehrt. Lange stand, häufig besucht
von den Einwohnern, welche dankbare Erinnerungen be-
wahrten, die Leiche unbegraben, bis sie nach fünf Jahren
in den Dom zu der Asche der Vorfahren gebracht wurde
und endlich dem Fanatismus derer genug gethan war, die
sich Christen nannten. (Fortsetzung folgt.)
 
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