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lektikern überlassen. Die Italiener wie die Spanier, die
Niederdeutschen wie die Holländer malten' kurzweg biblische
wie antike Geschichte, vorhistorische Idyllen ebensowohl wie
Zeitgeschichtliches im äußeren typischen wie kostümlichen
Habitus ganz gleich, nämlich nach damaliger Mode, oder
auch völlig nach einem in ihren Kreisen angenommenen
konventionellen Typus. Es war ihnen nur darum zu
thun, in Form und Farbe das rein Künstlerische allein,
dessen ihr Talent fähig war, zur Erscheinung zu bringen,
um die historische Bedingniß dabei scheinen sie sich gar
nicht bekümmert zu haben. Sie wurden aus diesem Wege
einzeln sehr große .Künstler, aber sehr naiv impotente Ge-
stalter der dem gewählten Sujet zu Grunde liegenden Idee.
Die Kunst gewann offenbar durch diese individuelle Un-
mittelbarkeit; das philosophische Bewußtsein aber blieb aus
Jahrhunderte hinaus unentwickelt. So war es damals
freilich leichter bei angebornem Talente mit wenig Mitteln
und in sehr beschränktem Sehkreise eine auf eigenen Füßen
stehende bedeutende Künstlcrindividualität zu werden; aber
die Kunst mußte dafür auch meist allem humanisirenden
Einfluß auf die Menschheit entsagen, blieb aus blos sinn-
lich veredelnden beschränkt. Einige halten heute diese Ein-
seitigkeit alter Kunst gerade für ihre magische Kraft und
Stärke; Andere dagegen verlangen immerhin mehr als
blos die höchste sinnlich-edle Entwicklung; sie weisen darauf
hin, daß die größten Genies jener Perioden es schon selbst
bis zur Steigerung brachten, wo auch der philosophische
Geist mit in die Erscheinung trat, wenn auch nichts we-
niger als doktrinär. Beide mögen in gewisser Beziehung
Recht haben. Was die erstere Meinung betrifft, so können
wir cs wohl begreifen, daß man sogar den Verlust jener Ar-
muth an Gedanken und Gemüth bei den Alten bedauert, in-
sofern ihre noch reine schöpferische Kraft selbst im Mißlunge-
nen und ihre seine Charakteristik der Wesenheit zu bewundern
ist. Wer da aber glaubt, sich zwar nachahmend an die
hohen Vorzüge der Alten halten zu können, zugleich aber
auch etwas vermittelnd mit den niodernen Bedürfnissen, rei-
nigend in Bezug aus ihre durch die Zeit bedingten Män-
gel, vertiefend in Rücksicht aus die derselben Zeitgeniäß-
heit anhaftende Beschränktheit im Ideellen, kurz korrigirend
und uächhelfend schaffen zu können, der verfällt entweder
in's Extrem abstrakter Spiritualistik oder in einen ganz
oberflächlichen Eklekticismus modernen und alterthünilichen
Formelwesens, der ganz und gar ungenießbar ist, weil er
genau betrachtet weiter nichts ist als konventionelle Mittel-
mäßigkeit.
Im Grunde gicbt es für einen Künstler heutzutage,
der sich über das Niveau der großen und gangbaren Mittel-
mäßigkeit erheben will, nur drei Möglichkeiten des Strebens.
Entweder er erklärt alles Neugeborne sammt und sonders
für Schund, Unnatur, Abweg und Impotenz, und nur
die großen Perioden der Kunst vom 15—16 Jahrhundert
für allein mustergiltig, für allein Kunst, für alleinigen,
absoluten und schon für immer abgeschlossenen rechten Weg.
Oder er ist mit all Dem, was schon war, als mit blos
Halbem, Fragmentarischem und bloßem Versuch unzu-
frieden und stürzt sich reminiszenzlos kopfüber in die dunkle
Zukunft, uni nach eigeneni unbestimmtem Instinkt einen
ganz neuen Weg zu finden, nölhigenfalls sich eigenmächtig
ein Loch zu reißen, um nur auS dem Netze heraus zu
kommen und in die noch unbekannte/ von ihm aber geahnte
Atmosphäre des höchsten Edelsinnlichen und des höchsten
Gedankenvollen hinauszuflüchten.
Oder endlich: der Manu zerbricht sich über diese beiden
Extreme gar nicht den Kopf, sondern zieht sich ganz auf
seine Individualität zurück, gedenkt nicht, waS war, noch was
kommen soll, sondern vertieft sich liebevoll in einen Sand-
haufen und schafft daraus mit einer Virtuosität, die in
größerem Maaßstabe fähig wäre die Welt aus ihren
Angeln zu heben, kleine zerbrechliche, kaum bemerkbare
Zauberwerke, die Viele gar nicht sehen, die sie aber be-
schaulich erblickend nie wieder vergessen und dazu was
murmeln vom „groß sein im Kleinen."
Wer in unserer Zeit in der Kunst über die konventionelle
Mittelmäßigkeit hinaus sich reckt, entgeht dieser Wahl nicht,
geräth unbedingt in eine dieser drei Bannlinien.
In erstere verlieren sich, von Delacroix, Rahl,
Ricard, Courbet u. s. w. geführt und manchmal auch
verführt, all' die „Zukunftsküustler", die daS werden wollen,
indem sie die Vergangenheit aufgalvanifireu und Todte
nicht durch starken Glauben, sondern durch kapriziöse, oft
völlig willkürliche Hexentänze auszuwecken suchen. Sie
merken von der Vergeblichkeit ihrer Bemühungen nichts,
weil sie meist selbst höchst bedeutend talentirte Hermaphro-
diten sind, halb an Urkraft ihren Vorgängern gleich, die sie
ersetzen wollen, halb an gereifter Reflexion der Spätzeit, die
sie längst darum gebracht hat, noch volle schöpferische Ur-
kraft zu besitzen, aber ihnen die Erkenntniß verleiht, was
jene werth waren. Und so gelingt ihnen denn manch' ein
Zug der Alten, und wo ihnen solche nicht gelingen, da
ersetzen sie die Impotenz durch kasuistische Demonstration,
und um dieser Nachdruck zu geben, verfallen sie in karrikirt
willkürliche Experimente, bezeichnen aber gerade diese als
die höhere Weihe, die sie noch über die Alten rangire, in-
dem sie daS Können mit dem Bewußtsein, ergo mit dem
Recht souveräner Willkür paare.
In's zweite pfadlose Fahrwasser gerathen die, welche
völlig die historische Genesis verwerfen und gerade aus
nach d.m Unbekannten streben. Sind es große Talente,
so entsteht aus diesem Unabhängigkeitstriebe auch wirklich
Großes, obgleich gerade nicht vollendet Befriedigendes.
Ein Kaulbach geht solch' einsamen Weg wie ein Rethel;
ein Ingres wie ein Milet; in anderer Art ein Corot,
wie nicht minder, trotz konventioneller ja süßlicher Hin-
neigung, ein Flandriu. Schaut man solche gewagte Ver-
suche, in's Große und Wahre und aus völlig unbetretcnem
Pfade zu gelangen, so wird man anfangs mehr verblüfft
als befriedigt, manchmal sogar momentan zu einem un-
willkürlichen Lächeln verführt, oder unangenehm berührt und
zurückgestoßen. Aber man fühlt rasch und bestimmt, dem
Manne ist es wahrlich nicht um Spaß zu thun, er sucht
ehrlich noch Ung°fundeues und ist ganz der Meister dazu,
sich selbst bis zur Unbeholfenheit zu beschränken, um nur
jeglichen bloßen Schein zu vermeiden, der ihm wahrlich
wohlfeil genug gelänge, wollte er ihn, dem er aber spar-
tanisch entsagt, um vielleicht durch diese Demuth einen
Schritt näher an's verschleierte Urräthsel hinan zu kommen.
Freilich sehr leicht schlägt.diese Selbstkasteiung bei unbe-
lektikern überlassen. Die Italiener wie die Spanier, die
Niederdeutschen wie die Holländer malten' kurzweg biblische
wie antike Geschichte, vorhistorische Idyllen ebensowohl wie
Zeitgeschichtliches im äußeren typischen wie kostümlichen
Habitus ganz gleich, nämlich nach damaliger Mode, oder
auch völlig nach einem in ihren Kreisen angenommenen
konventionellen Typus. Es war ihnen nur darum zu
thun, in Form und Farbe das rein Künstlerische allein,
dessen ihr Talent fähig war, zur Erscheinung zu bringen,
um die historische Bedingniß dabei scheinen sie sich gar
nicht bekümmert zu haben. Sie wurden aus diesem Wege
einzeln sehr große .Künstler, aber sehr naiv impotente Ge-
stalter der dem gewählten Sujet zu Grunde liegenden Idee.
Die Kunst gewann offenbar durch diese individuelle Un-
mittelbarkeit; das philosophische Bewußtsein aber blieb aus
Jahrhunderte hinaus unentwickelt. So war es damals
freilich leichter bei angebornem Talente mit wenig Mitteln
und in sehr beschränktem Sehkreise eine auf eigenen Füßen
stehende bedeutende Künstlcrindividualität zu werden; aber
die Kunst mußte dafür auch meist allem humanisirenden
Einfluß auf die Menschheit entsagen, blieb aus blos sinn-
lich veredelnden beschränkt. Einige halten heute diese Ein-
seitigkeit alter Kunst gerade für ihre magische Kraft und
Stärke; Andere dagegen verlangen immerhin mehr als
blos die höchste sinnlich-edle Entwicklung; sie weisen darauf
hin, daß die größten Genies jener Perioden es schon selbst
bis zur Steigerung brachten, wo auch der philosophische
Geist mit in die Erscheinung trat, wenn auch nichts we-
niger als doktrinär. Beide mögen in gewisser Beziehung
Recht haben. Was die erstere Meinung betrifft, so können
wir cs wohl begreifen, daß man sogar den Verlust jener Ar-
muth an Gedanken und Gemüth bei den Alten bedauert, in-
sofern ihre noch reine schöpferische Kraft selbst im Mißlunge-
nen und ihre seine Charakteristik der Wesenheit zu bewundern
ist. Wer da aber glaubt, sich zwar nachahmend an die
hohen Vorzüge der Alten halten zu können, zugleich aber
auch etwas vermittelnd mit den niodernen Bedürfnissen, rei-
nigend in Bezug aus ihre durch die Zeit bedingten Män-
gel, vertiefend in Rücksicht aus die derselben Zeitgeniäß-
heit anhaftende Beschränktheit im Ideellen, kurz korrigirend
und uächhelfend schaffen zu können, der verfällt entweder
in's Extrem abstrakter Spiritualistik oder in einen ganz
oberflächlichen Eklekticismus modernen und alterthünilichen
Formelwesens, der ganz und gar ungenießbar ist, weil er
genau betrachtet weiter nichts ist als konventionelle Mittel-
mäßigkeit.
Im Grunde gicbt es für einen Künstler heutzutage,
der sich über das Niveau der großen und gangbaren Mittel-
mäßigkeit erheben will, nur drei Möglichkeiten des Strebens.
Entweder er erklärt alles Neugeborne sammt und sonders
für Schund, Unnatur, Abweg und Impotenz, und nur
die großen Perioden der Kunst vom 15—16 Jahrhundert
für allein mustergiltig, für allein Kunst, für alleinigen,
absoluten und schon für immer abgeschlossenen rechten Weg.
Oder er ist mit all Dem, was schon war, als mit blos
Halbem, Fragmentarischem und bloßem Versuch unzu-
frieden und stürzt sich reminiszenzlos kopfüber in die dunkle
Zukunft, uni nach eigeneni unbestimmtem Instinkt einen
ganz neuen Weg zu finden, nölhigenfalls sich eigenmächtig
ein Loch zu reißen, um nur auS dem Netze heraus zu
kommen und in die noch unbekannte/ von ihm aber geahnte
Atmosphäre des höchsten Edelsinnlichen und des höchsten
Gedankenvollen hinauszuflüchten.
Oder endlich: der Manu zerbricht sich über diese beiden
Extreme gar nicht den Kopf, sondern zieht sich ganz auf
seine Individualität zurück, gedenkt nicht, waS war, noch was
kommen soll, sondern vertieft sich liebevoll in einen Sand-
haufen und schafft daraus mit einer Virtuosität, die in
größerem Maaßstabe fähig wäre die Welt aus ihren
Angeln zu heben, kleine zerbrechliche, kaum bemerkbare
Zauberwerke, die Viele gar nicht sehen, die sie aber be-
schaulich erblickend nie wieder vergessen und dazu was
murmeln vom „groß sein im Kleinen."
Wer in unserer Zeit in der Kunst über die konventionelle
Mittelmäßigkeit hinaus sich reckt, entgeht dieser Wahl nicht,
geräth unbedingt in eine dieser drei Bannlinien.
In erstere verlieren sich, von Delacroix, Rahl,
Ricard, Courbet u. s. w. geführt und manchmal auch
verführt, all' die „Zukunftsküustler", die daS werden wollen,
indem sie die Vergangenheit aufgalvanifireu und Todte
nicht durch starken Glauben, sondern durch kapriziöse, oft
völlig willkürliche Hexentänze auszuwecken suchen. Sie
merken von der Vergeblichkeit ihrer Bemühungen nichts,
weil sie meist selbst höchst bedeutend talentirte Hermaphro-
diten sind, halb an Urkraft ihren Vorgängern gleich, die sie
ersetzen wollen, halb an gereifter Reflexion der Spätzeit, die
sie längst darum gebracht hat, noch volle schöpferische Ur-
kraft zu besitzen, aber ihnen die Erkenntniß verleiht, was
jene werth waren. Und so gelingt ihnen denn manch' ein
Zug der Alten, und wo ihnen solche nicht gelingen, da
ersetzen sie die Impotenz durch kasuistische Demonstration,
und um dieser Nachdruck zu geben, verfallen sie in karrikirt
willkürliche Experimente, bezeichnen aber gerade diese als
die höhere Weihe, die sie noch über die Alten rangire, in-
dem sie daS Können mit dem Bewußtsein, ergo mit dem
Recht souveräner Willkür paare.
In's zweite pfadlose Fahrwasser gerathen die, welche
völlig die historische Genesis verwerfen und gerade aus
nach d.m Unbekannten streben. Sind es große Talente,
so entsteht aus diesem Unabhängigkeitstriebe auch wirklich
Großes, obgleich gerade nicht vollendet Befriedigendes.
Ein Kaulbach geht solch' einsamen Weg wie ein Rethel;
ein Ingres wie ein Milet; in anderer Art ein Corot,
wie nicht minder, trotz konventioneller ja süßlicher Hin-
neigung, ein Flandriu. Schaut man solche gewagte Ver-
suche, in's Große und Wahre und aus völlig unbetretcnem
Pfade zu gelangen, so wird man anfangs mehr verblüfft
als befriedigt, manchmal sogar momentan zu einem un-
willkürlichen Lächeln verführt, oder unangenehm berührt und
zurückgestoßen. Aber man fühlt rasch und bestimmt, dem
Manne ist es wahrlich nicht um Spaß zu thun, er sucht
ehrlich noch Ung°fundeues und ist ganz der Meister dazu,
sich selbst bis zur Unbeholfenheit zu beschränken, um nur
jeglichen bloßen Schein zu vermeiden, der ihm wahrlich
wohlfeil genug gelänge, wollte er ihn, dem er aber spar-
tanisch entsagt, um vielleicht durch diese Demuth einen
Schritt näher an's verschleierte Urräthsel hinan zu kommen.
Freilich sehr leicht schlägt.diese Selbstkasteiung bei unbe-