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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 10.1865

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https://doi.org/10.11588/diglit.13555#0042

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27

u. s. w. Diese jedenfalls höchst originellen Werke machten
nicht geringes, aber noch weniger nngetheiltes Aussehen.
In Belgien und 1855 in Paris, wo die drei bedeutendsten
dieser Schöpfungen die große Medaille erhielten, erklärten
Einige diese Richtung für eine geniale Rückkehr zur wahren
unaffektirten Natur; Andere dagegen eben für das Gegen-
theil, für affektirteste Simplicität, für kindisches Spiel
mit alten Formen. Der Streit ward hitzig, man machte
die allerschlechtesten Bonmots über diese „neueste Schrulle";
doch die Kunstfreunde geriethen in Entzückungsdclirien,
und Niemand konnte zuletzt leugnen, daß jene Manier
wirklich etwas ganz eigenthümlich Magisches habe. Wer
noch keine Bilder der dritten Manier von Henry Leys
sah, dem zu expliciren ist es freilich schwer, was das
eigentlich für ein Genre sei? Wer kennt denn nicht jene
naturalistischen Naivetäten, jene verzeichneten Finger oder
verbogenen Beine, jene zu schmalen laugen Gesichter un-
beholfener deutscher Schulen des Mittelalters, aber Labei
auch sogar in den Fehlern so gefühlr, so rührend im un-
schönsten Zuge? Nun denke man sich, ein moderner Künst-
ler, mit dem vollen Bewußtsein unserer Zeit, und all' der
nur zu sehr vorgeschrittenen Technik, male wieder absicht-
lich so verblüffend naiv, ja eklektisch angefüllt mit all'
den einzelnen Absonderlichkeiten die er alten Meistern ab-
gelauscht, oder vielmehr sie kühn noch weiter führend in
ihren; Geiste, wie stolzircnd mit einer Unbehülslichkeit, die
nah' an der Grenze des Lächerlichen steht. Aber inan
fühlt sogleich, Leys greift nickt zu jenen Typen zurück, um
sie etwa als höchste Vollendung Dessen uns aufdrängen
zu wollen, was die Kunst je leisten könne, sondern im Ge-
gentheile, blos aus historischem und ethnographischem In-
teresse, — um es so zu nennen.

Der Mann malt ©eenen des Mittelalters, vorweg
diejenigen seiner Heimath. Gut, das Sujet ist berechtigt;
aber wie es geben? Greift er zu modernen Mitteln, so
wird eine Maskerade daraus, wobei moderne Leute in
Kostümen stecken, die der Theaterschneider nach historisch
sein sollenden Zeichnungen neu machte. Gallait verfällt
oft in diesen Mißgriff, macht ihn aber freilich durch die
Brillauce seiner Mache übersehen, und man begnügt sich
mit Dem, was er giebt, nicht was er geben sollte. Jedoch,
darum fehlt aber auch seinen Schöpfungen der eigentliche
historische Lokalton, und dadurch das Gemülh, die Poesie
der Unabsichtlichkeit. Es sind prachtvolle, moderne Thea-
terscenen, monumental stilisirt. Dagegen, wie denn das
Mittelalter eigentlich wirklich aussah, woher sollen wir
Das nachfühlen und uns vorstcllen? Das Mittelalter hat
freilich selbst sein getreustes Konterfei geliefert, aber nicht
an sich, nicht sein eigen Portrait gebend, sondern sich
wiederspiegclnd i» christlicher Heiligengeschichte, in welcher
Herodes anS einem venetianischen Glase trinkt, die Hen-
kersknechte Nestelhosen tragen und Maria eine antwerpner
Pelzmütze. Und diese Physiognomien! Das sind keine
Asiaten, sondern Stück für Stück Portraits von Patriziern
und Spießbürgern, welche persönlich Modell saßen. Also
die Faktoren sind gefunden, wie jene Leute des Mittelal-
ters etwa ausgesehen haben mögen; aber um auch an sie
glauben zu machen, daß sie in jenen Bildern wirklich
wieder leben, nicht blos gemalt sind, müssen sie sc be-

scheiden und unbehülflich auftreten, auck in den Mitteln
sich über ihre Zeit nickt erheben, auf daß die Scene nicht
ans der Stimmung ihres historischen Charakters falle.

So griff denn Leys selber zur Primitivität, und zwar
in Allem. Seine Komposition ist so gegliedert, als wär's
ihm nur darum zu thun, all' die Leute ja sicker noch
mit in den Rahmen hineinzubringcn Vieles scheint ab-
sichtlich verzeichnet, oder so primitiv hingeworfen, wie
auf einem alten Holzschnitte. Aber damals sah auck wirk-
lich ein Chorschragen noch nickt so zugehobelt aus, wie
heutzutage. Es gab noch keinen Macadam, sondern „Kitzel-
steine, Ei an Ei," bildeten das Pflaster des Marktplatzes;
und selbst jene einstige Hunderace scheint durch die Natur
„etwas verzeichnet" gewesen zu sein. Jener Menschen-
schlag aber, der bis zum letzten Knecht hinab den Kops
voll hatte von Prädestination, Glanbenseifer, hartem Eigcn-
thumssinn und von Gott eingesetzten Rangstufen, und der
tiesdunkel fühlte, daß er nur durch Zufall noch den nächsten
Moment leben werde, gab's doch so viel Rad und Gal-
gen, ewige Feinde und zuletzt auch Hexen und Teufel
— diese Leute haben doch wohl nicht die Beine so un-
genirt vorangesetzt, wie ein heutiger schlendernder Börsia-
ner, und nicht so satt darein geschaut, wie ein heutiger
londoner Schneider. Und finden wir denn nicht noch heute
bei weniger kultivirten Völkern Gesten und Bewegungen,
als wären die Leute „verzeichnet"? Wcnn's den polnischen
Bauer am linken Ohre juckt, kratzt er sich mit der rechten
Hand über den Kopf hinüber. Es scheint also nickt blos
naturalistische Unbehülslichkeit der alten Meister gewesen
zu sein, daß ihre Figuren uns oft so abnorm, liukisck, ja
affektirt in ihren Bewegungen Vorkommen, sondern sie
sahen eben Jedermann damals sich also gcbahren und
gaben das daguerrcotyphisch getreu wieder, besonders da sie
selbst darin befangen waren.

Aber all Das hülfe denn doch nicht aus der Verlegen-
heit, wie Alter alt vorzuführen sei.

Es wäre ein höchst schrullenhafter Abweg, Jemanden
blos nachzuahmen, „wie er sich räuspert und wie er
spuckt," und dann diese erkünstelt zusammengesetzte Fratze
für sein Portrait auszugeben. Jedenfalls thut'S Das allein
nicht. Zuletzt würde einem solch' eine verwitterte Maske-
rade höchstens als Kuriosum interessiren, aber gewiß kei-
nen künstlerischen Eindruck machen. Solche Versuche hät-
ten immer das Mißliche der Experimentik und trügen fort
und fort die Eierschalen der Reflexion am Steiße mit sich
herum. Neuerdings hat man sich ohnehin schon genug auf
solche Experimente „ethnograpbisch-histvrischcr Darstellung"
geworfen. Seit das Museum Campana im Louvre ist,
versäumte man cS nicht, uns „Etruskische Familienscenen"
vorzuführen. Tadema ermüdet nicht, uns nach dem Die-
tionnirc des Antiquites vorzumalen, wie er meint, daß
die „Aegyptische Gesellschaft" vor der Zeit der Pyramiden
in Wirklichkeit war^ Ham on hat sich bekanntlich, und sehr
poetisch, auf „Pompejanisches" geworfen; De Taeye wollte
uns die „Sarazenen" photographisch getreu wieder er-
stehen lassen; Comtc versucht „Rabelais" auferstehen zu
machen; und Tissot sucht uns begreiflich zu machen, wie
die Pariser zu Beginn der Sorbonne „ausgesehcn haben
müssen," alte Miniaturen umkomponirend. (Schluß folgt.)
 
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