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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 10.1865

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https://doi.org/10.11588/diglit.13555#0093

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fassung und Behandlung desselben ankomme, liegt die Vor-
aussetzung zu Grunde, daß zwischen dem Was und dem
Wie ein Gegensatz (wir sagen nicht „Unterschied" sondern
Gegensatz) obwalte. Diese Voraussetzung ist eine
durchaus irrige und die daraus gezogenen Konsequenzen
falsch: das Ganze also ein Trugschluß. Es herrscht
kein Gegensatz zwischen diesen Elementen; wäre dies der
Fall, so könnten sie einander nicht decken, nicht vollkom-
men zusammenschmelzen, wie es im Kunstwerk, dessen
Wesen eben in dieser Einheit von Inhalt und
Form beruht, stattfindet und stattfinden muß. Ein wirk-
licher Gegensatz findet nur dann zwischen dem historischen
Objekt und der künstlerischen Form statt, wenn fick jenes
seinem Wesen nach überhaupt uicht für die künst-
lerische Darstellung eignet.

Daß cs aber sehr viele bedeutsame historische Fakta
giebt, die sich nicht zu künstlerischen Objekten eignen,
weil ihnen die malerische oder formale Darstellungsfähig-
keit mangelt, bedarf wohl staum eines näheren Beweises.
Das malerisch- oder, allgemein gesprochen, dramatisch-
Wirksame ist mit dem Historisch-Bedeutsamen
nicht identisch. Denn die Geschichte und ihre Entwick-
lung sind mit einem andern Maaßstabe zu messen als
mit dem künstlerischen. So kommt es, daß oft weniger
(historisch-) bedeutsame Fakta mehr künstlerische Darstel-
lnngsfähigkeit besitzen, als viel bedeutsamere, weil das
Exterieur, der ganze Apparat des Anschauli ch en, welcher
für die historische Tragweite eines Faktums als eines
historischen ganz indifferent ist, für die künstlerische Dar-
stellung ein wesentliches, wenn nicht das wesentliche Mo-
ment bildet. Die Figur Friedrichs des Großen z. B. ist
deshalb trotz seiner eminenten historischen Bedeutsamkeit,
künstlerisch so schwer zu handhaben und zu verwerthen,
weil das Exterieur nicht etwa blos des „alten Fritz" selbst
sondern auch der ganzen zeitlichen Unterlage, auf welcher
seine Geschichte beruht, dem künstlerisch Anschaulichen im
Sinne des historischen Stils wenig oder gar keine An-
haltepunkte darbietet. Darstellungen aus der Geschichte
Friedrichs des Großen werden daher immer in's Genre-
hafte hinüberspielen.

Wenn nun das historische Objekt als künstlerisches
Motiv gefaßt wird — und außerdem wäre es wie ge-
sagt gar kein Objekt für die künstlerische Darstellung —
und weiterhin in seiner ganzen historischen Bedeutsamkeit
zum künstlerischen Ausdruck gebracht wird, so kann es
eben gar nicht anders als stilvoll sein. Ist es dies nicht,
so ist die historische Idee auch nicht zum entsprechenden
künstlerischen Ausdruck gebracht, und es geht der Dar-
stellung dann ebenso die historische Ueberzengungskraft
wie die künstlerische Wahrheit ab. Lessing's „Hnß vor-
dem Scheiterhaufen" ist ein Beweis davon. Daß das
Sujet eine bedeutende historische Tragweite besitzt, kann
ebensowenig geläugnet werden, wie daß es im höchsten Maaße
alle Bedingungen künstlerisch-wirksamer, dramatisch-effekt-
voller Anschaulichkeit in sich trägt. Daß trotzdem das Bild
diese Bedingungen nicht erfüllt, ist nicht dem Sujet sondern
dem Künstler anzurechnen, aber es folgt auch zugleich daraus,
daß der historische Moment durch jenen Mangel an künstle-
rischer Vollendung nicht zum vollen, prägnanten und leben-

dig wahren Ausdruck gelangt. Daß es „Hnß vor dem
Scheiterhaufen" sei, sagt weniger das Bild als der Titel,
und es ist für den Beschauer kein Grund vorhanden,
mehr Dem zu glauben, was er liest, als Dem, was
er sieht.

Wie kann man nun behaupten wollen, daß ein histo-
risch-bedeutsamer Gegenstand, stillos dargestellt, ein Histo-
riengemälde sei, wenn zwar auch kein gutes? Wenn es
kein „gutes" Gemälde ist, so ist es noch weniger ein
historisches. Oder macht etwa der Name und der Titel
das Bild zum historischen, statt des Inhalts? Die
Stillosigkeit in Form und Farbe ist wei-
ter nichts als der Mangel an wirklich histo-
rischem Inhalt. Wir sehen zwar Figuren, zeitlich
kostümirt und gestaltet, vielleicht sogar porträtähnlich,
und dennoch sind es nicht die, die sie sein sollen, weil
Das, was sie historisch (in der Geschichte) sind, nickt
zum Ausdruck kommt. Käme dies zum Ausdruck, zur
vollen, prägnanten künstlerischen Erscheinung, dann
wäre auch der Stil da. Denn der Stil ist eben
der adäquate Ausdruck des Historischen in künstlerischer
Gestaltung.

Die Behauptung also, daß „der historisch bedeutsamste
Gegenstand, stillos dargestellt, niemals ein gutes Historien-
gemälde werden könne", ist insofern falsch, als das Wort
„gut" dem ganzen Gedanken den schiefen Sinn giebt, als
ob -ein solches Bild doch immer noch ein Historienbild
bleibe; es muß vielmehr heißen „der (an sich) historisch
bedeutsamste Gegenstand, stillos dargestellt, kann nie ein
Historiengemälde werden". Ist also der erste Satz jener
Behauptung schon sophistisch, so ist der zweite, „daß wenig
bedeutsamen Thatsachen durch stilvolle Behandlung sofort
der Stempel des historischen ausgedrückt werde", geradezu
ein Trugschluß. Was heißt „wenig bedeutsam" anders als
von geringem historischem Werth? Wenn aber der histo-
risch bedeutsame Inhalt fehlt, wie kann er denn zu jenem
künstlerischen Ausdruck kommen, den wir als „Stil" dest-
niren zu müssen glaubten. Ist dennoch der blos äußere
Habitus jenes „historischen Stils", des beliebten Schemas
gedankenloser Nachtreter der Alten, auf einem Bilde ohne
wahrhaft historischen Inhalt, so ist es eben nichts weiter
als eine hohle Schablone ohne Wahrheit — und zwar
eben so sehr ohne künstlerische wie ohne historische
Wahrheit.

Nur der ist der wahre, der einzig berechtigte Stil,
der als nothwendiges Gestaltnngsprodukt der historischen
Idee, als künstlerischen Objekts, in die Erscheinung tritt,
der organisch aus der Idee herauswächst als Formen-
pathoS. Mit dem „Pathos" des malerischen Stils ist
es ähnlich wie mit dem Pathos der dramatischen Darstellung.
Es wirkt nur dann organisch, wenn es als nothwendige
Lebensäußerung und Versinnlichung der Idee zur konkre-
ten Erscheinung kommt; als schematische Rhetorik dagegen,
die an sich gelten will, und selbst da in unberufener
Weise sich breit macht, wo die Idee entweder ganz fehlt,
oder wo sie jener Form doch in ihrem Charakter widerspricht,
wird das Pathos sofort zum „hohlen", zur leeren De-
klamation, zum inhaltslosen und widersinnigen Bombast;
mit Beziehung auf den Gestus aber zur Kulissenreiß er ei.
 
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