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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 10.1865

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https://doi.org/10.11588/diglit.13555#0104

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Größe herangebildet haben, so kann es nur eine Antwort
geben: anden religiöscnMotiven. Die Versenkung in
die mystische Tiefe des christlichen Ideals, die erhabenen
und wundersam-poetischen Schönheitsformen des „Gottes-
sohns" und der „Madonna": sie waren es, welche die
Kunst befruchteten, welche den blos formalen Schönheits-
typus des hellenischen (plastischen) Ideals erwärmten und
durchgeistigten und die Künstler jener Zeit zu einem dich-
terischen Schwünge, zu einer Kraft und Innigkeit begei-
sterten, welche diese ganze Richtung in der Geschichte als
eine ebenso abgeschlossene Epoche der Kunstentwickelung
hinstellen, wie die der hellenischen Plastik zur Zeit des Perikles.

In der religiösen Malerei — das geben wir zu —
ist kein Fortschritt für die Malerei denkbar. Aber doch
nur deshalb, weil uns der Inhalt, eben jene Wahrheit
der Ideale d. h. die lebendige Anschauung, die Unmittel-
barkeit der Empfindung für dieselben verloren gegangen
ist. Unser heutiger Glaube ist abstrakter, wenn man will
philosophischer gerworden; ihm fehlt die konkrete Leben-
digkeit, die Naivetät und deshalb auch die Macht der
poetischen Erregung. In dieser Sphäre allerdings können
wir im besten Falle nur nachahmen, und leider geschieht
dies meist geist- und empfindungslos genug; ein Beweis,
daß sich die religiöse Malerei überlebt hat —• nämlich in
dem Sinne, daß sie keiner höheren Entwickelung und
Fortbildung fähig ist.

Wie aber steht cs nun mit den andern Motiven?
Haben auch hier die Alten Alles erschöpft, und dürfen
wir auch hierin nur danach streben, geschickt nachzuahmen?
Oder ist etwa durch die religiöse Malerei der ganze poe-
tische Stoff für die Kunst erschöpft? Giebt es über „Chri-
stus" und „Madonna", über die „Bibel" und die „Legende"
hinaus nichts mehr, was den Maler poetisch erregen, was
der Kunst neue Ideale darbicten könnte für die Gestaltung?

Wäre dies der Fall, so gäbe es überhaupt keine Kunst
als die religiöse. Jndeß hat die Kunstgeschichte selber
schon den Beweis vom Gegentheil geliefert — weniger
zwar durch die Art und Weise der Behandlung antik-
mythologischer oder profan-historischer Motive, als durch
das sich später daraus entwickelnde Genre und die Land-
schaft. Lassen wir jedoch diese Gebiete bei Seite liegen,
weil sie mit unserer Hauptfrage nur in entfernter Be-
ziehung stehen, sondern bleiben wir bei der Historie.

Als der religiös-ideale Inhalt sich nach allen Seiten hin
und mit ihm die Begeisterung dafür selber erschöpft hatte,
blieb für die altenMeister und ihre nächsten Nachfolger immer
noch jene durch dieseBegeisterung selbst erworbene
Meisterschaft, jene Fertigkeit des Mächens, jene technische
Bildung in Form und Farbe als eine unschätzbare Er-
rungenschaft bestehen, welche sie nun selbstständig als
künstlerisches Können und technisches Wissen auf beliebige
Motive anwenden konnten. Ursprünglich aus der reinen
Quelle idealen Schaffens entsprungen, besaßen sie dieses
Können und Wissen nun als bewußte Fertigkeit — und
da war es freilich gleichgültig, woran sie diese Fertigkeit
zeigten: sie blieben trotz aller Mißgriffe in den Moti-
ven voller Noblesse in der Gestaltung der Formen, harmo-
nisch und überwältigend kraftvoll in der Koloritstimmung
— kurz sie blieben Meister. Aber wie bald artete dieses

abstrakte Können in bloßen Schönheitsformalismus, ja in
Uebertreibung und äußerlichen Manierismus aus! Und
was, fragen wir, war die alleinige Ursache hievon? Ledig-
lich der mangelnde Jdeeninhalt, welcher allein die
technische Meisterschaft hätte in ihrer Reinheit erhalten und
zu noch höherem Glanze führen können. Statt deffen
schritt die Kunst (und die Technik mit ihr) fortwährend —
durch zwei Jahrhunderte hindurch — abwärts, und alle
Umkehrversuche sowohl der antikisirenden Richtung eines
David und Carstens, wie der nazarenisirenden eines Veit,
Overbeck und Cornelius werden isolirte bleiben, da ihnen
der belebende Athem des geschichtlichen Zeitgeistes man-
gelt. Ebensowenig wie das hellenische Ideal der plasti-
schen Schönheitsform wieder aufgalvanisirt werden kann,
ebensowenig kann die große Epoche der religiösen Malerei
des 15.—16. Jahrhunderts zu einem neuen Leben wieder-
erweckt werden.

Es ist nun die Frage, was an die Stelle gesetzt
werden kann, oder vielmehr ob über das religiöse Ideal
hinaus es für die Kunst nicht noch andere, ja vielleicht
sogar höhere Ideale giebt, welche — sofern sie als wirk-
licher substanzieller Inhalt für die künstlerische Gestaltung
gefaßt werden und in die Empfindung der Künstler bele-
bend und begeisternd eindringen — einen wirklichen Fort-
schritt in der Kunst zu ermöglichen im Stande sind. —

Wir antworten mit innigster Ueberzeugung hierauf
mit Ja.

Ueber das religiöse Ideal hinaus, welches — da
es einen tiefen Gegensatz zwischen dem Diesseits und
Jenseits in sich schließt — immerhin mit einer Einseitig-
keit behaftet ist, giebt es ein Ideal, welches diese Ein-
seitigkeit aufhebt, indem es jenen Gegensatz zur Versöh-
nung bringt: dies Ideal ist die unendliche Offenbarung
der Gottesidee (d. h. der geistigen Freiheit) in der Gene-
sis der Menschengeschichte. Wenn in der religiösen
Kunst der „Gottmensch" als konkrete Persönlichkeit zur An-
schauung und Darstellung kam, so ist es nun die Gött-
lichkeit der Menschheit, d. h. die in der Geschichte sich
unendlich entwickelnde und vollendende Freiheit des mensch-
lichen Geistes, welche die Stelle jenes persönlichen (und
darum religiösen) Ideals einnimmt. Dieser Begriff der
Göttlichkeit der Menschennatur und der unendliche Kampf,
in dessen verschiedenen Phasen sich dies Ideal zu vollen-
den strebt, bietet einen ungeheuren und unabsehbaren
Reichthum an Motiven, nicht etwa nur für die Historien-
malerei im besondern Sinne des Worts, sondern auch in
socialer und genrehafter Beziehung dar.

Unsere Ansicht nun ist die, daß ein Fortschritt in der
Malerei nicht nur möglich, sondern auch nothwendig ist
und kommen muß, wenn erst diese Idee des allgemeinen
Menschenthums in alle Gebiete eingedrungen ist, wenn
erst das Humane als das „Ideale" von den Künstlern ge-
faßt zu werden vermag: Das Humane — nicht nur in
der großen Weltgeschichte, sondern ebenso in dem Genre,
ja in der Laudschaft sogar. Denn die unendliche Sub-
jektivität des menschlichen Geistes ist es allein, was den
wahren konkreren, poetisch-substanziellen Inhalt allen Kunst-
schaffens ausmachen muß.

Von dieser Auffassung der Geschichte als der unend-
 
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