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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 10.1865

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https://doi.org/10.11588/diglit.13555#0144

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131

Grade der molekularen Trennung sich in den nördlich ge-
legenen Räumen bereits an 52 Procent der dort hängen-
den Bilder zeigten, während in den südlich gelegenen
Sälen nur 16 Procent und in den dazwischen liegenden
großen Sälen nur 10 Procent davon begriffen waren.
Ebenso deutlich, wie sich dieser Einfluß im Ganzen aus-
sprach, trat er auch noch hervor, wenn man einzeln ver-
glich, wie sich Bilder von einem und demselben Meister
konservirt hatten, je nachdem sie in den südlichen oder
nördlichen Räumen des Gebäudes hängen. Daß dieser
Unterschied in der neuen Pinakothek so bedeutend und
regelmäßig hervorgetreten ist, viel regelmäßiger, als an-
derswo, erklärt sich wohl daraus, daß das Gebände nach
allen Seiten hin freisteht, im Innern an den Wänden
keine Holzverschalung hat, während des ganzen Winters
ungeheizt und das ganze Jahr hindurch mit Ausnahme
der Besuchstunden völlig unbewohnt ist. Unter diesen
Umständen konnten sich die natürlichen atniosphärischen
Einflüffe nnsers Klima's ohne alle Störung geltend machen,
so daß dieser Fall für den wissenschaftlichen Beobachter
den vollen Werth eines ganz reinen Experimentes hat.

Der Verlust des molekularen Zusammenhanges ist

allerdings nicht der einzige Schaden, welchen Oelgemälde
im Laufe der Zeit erleiden, aber er ist ein ganz allge-
meiner, dem sich kein Oelgemälde unter den günstigsten
Umständen ganz entziehen kann, und er ist, wie die Er-
fahrung bereits gelehrt hat, in der überwiegenden Mehr-
zahl der Fälle der einzige Schaden, den die Bilder ge-
nommen haben. Das Regenerations-Verfahren, dessen
klar ausgesprochenes Ziel die Wiederherstellung des mole-
kularen Zusammenhanges und die Entfernung der in den
Zwischenräumen befindlichen Luft und der dadurch ver-
ursachten optischen Störungen ist, hat deshalb auch eine
ganz allgemeine Bedeutung und einen allgemei-
nen Werth und wird künftig ein unentbehrliches Mittel
für die Konservirung jeder Galerie sein.

Seine Majestät der König Ludwig 1. hat diesem
Grundsatz, auf die Nachweise Pettenkofers und das Gut-
achten des Direktors von Zimmer mann gestützt, bereits
praktische Folge gegeben, indem er das Regenerations-
Verfahren in die neue Pinakothek eingeführt hat, wo es
durch Konservator Frey bei mehr als 100 Bildern mit
dem besten Erfolge zur Anwendung gekommen ist."

(Schluß folgt.)

Kunst-Literatur und Album.

Kritische Forschnngen im Gebiete der Malerei alter und
neuer Kunst. Ein Beitrag zur gründlichen Kenntniß
' der Meister von M. Unger. (Supplement zu seinem
Werke: „Das Wesen der Malerei"). — Leipzig.

Verlag von Herrn. Schnitze. 1865. (Fortsetzung).

2.

Ehe wir in die kritische Betrachtung dieses schwer wiegenden
Werkes eingehen, fühlen wir •— um dem Vorwurf zu begegnen,
daß wir uns hauptsächlich mit den Details desselben beschäfti-
gen — die Nothwendigkeit, dem Leser von vorn herein die Ge-
sichtspunkte anzudeuten, welche für unsere Beurtheilung in
Frage kommen. Einen Punkt zwar haben wir schon am Schluß
unsrer Einleitung zur Kritik angegeben, nämlich den, daß die
Anschauungen und die Urtheile Unger's über die einzelnen Mei-
ster, so tief und bedeutend sie fast durchgängig sind, (Einzelnes,
was wir namentlich in Bezug aus Rubens und Rembran dt nicht
unterschreiben möchten, wird an seinem Orte erwähnt werden)
doch weniger den Gegenstand unjrer Kritik abgebeu werden, als
die gelegentlich der einzelnen kritischen Charakteristiken des Ver-
fasser's ausgesprochenen allgemeinen ästhetischen Fundamentalsätze
und philosophischen Bemerkungen. Der Grund zu diesem nnsern
kritischen Verfahren liegt in unsrer Ueberzeugung, daß die klare
Feststellung der ästhetischen Grundbegriffe, z. B. über das, was
„Stil", was „Schönheit", was „Grazie" sei, welche Bedeutung
das „Naturhäßliche" in der Kunst habe u. s. s. erst die wahre
kritische Handhabe für das Verständniß der Kunst überhaupt, und
namentlich der alten Meister darreiche, ja daß ohne jene objektive
Feststellung jedes Reden über die alten Meister ein bloßes Phan-
tasiren oder höchstens ein subjektives Meinen bleibe. Dies vor-
ansgeschickt bemerken wir nun, daß der Verfasser — gewisser-
maaßcn wie Wilhelm von Humboldt in seinem merkwürdigen
Buche „Ueber den Ursprung der Sprache" — nicht sowohl aus
dem Wege philosophischer Erörterung als dem einerpro-
phetischen Anschauung zu seinen aus dem tiefsten Erkennen
des Charakters der alten Meister geschöpften Resultaten gelangt.
In dieser „pythischen" Vortragsweise, um einen Lieblingsausdruck
des Verf.'s zu brauchen, liegt der ideelle Schwerpunkt— der
Vers, würde sagen die „Lebenswucht" — des Werkes, aber zugleich
auch seine Schwäche. Denn schließlich ist es und soll es sein: nicht
ein Poetisches, sondern ein kritisches Werk; und die Kritik verlangt
vor allen Dingen schärfste Begrenzung der Begriffe. Der Verf.
scheint einen gewissen Mangel in dieser Rücksicht, wenigstens in
Bezug ans sein „Wesen der Malerei", selber zu fühlen; glaubt
demselben aber durch vorliegendes Werk abgeholfen zu haben.
Denn er bemerkt in der Vorrede: „Wem die in meinem obigen
Werke enthaltenen Definitionen und Erläuterungen noch
nicht völlig klar geworden, insbesondere was der Stil in
der bildenden Kunst sei und wie nur in der genauen Erklärung
des Stiles eines bestimmten Meisters die jedesmalige Kritik
desselben enthalten sein könne, dem wird ohne Zweifel, nachdem
ich mich durch das ebenso umfangreiche wie schwierige Material hin-

durchgearbeitet, in diesem Buche mancher nähere Ausschluß ge-
geben werden. Gestutzt auf jene Vorarbeit, wodurch ich mir
den Weg zu einem gründlichen Verständniß der großen Meister
gebahnt, wird man in diesem Buche, das vornehmlich diesen Zweck
verfolgt, Vieles so ausgesprochen finden, daß der Mangel an
größerer Durchsichtigkeit, der nach Maaßgabe des Andran-
ges neu zu begründender Ideen immer eintritt, möglichst geho-
ben ist". — Wenn wir nun auch nicht urgiren wollen, daß
der Verf. selbst damit zugiebt, sein erstes Werk mehr zu seinem
eignen Verständniß als zu dem seiner Leser geschrieben zu haben,
so können mir doch nicht umhin zu konstatiren, daß er auch in
diesem zweiten seinen Lesern seine Gedankenarbeit nicht erspart
und daß gerade jene seiner Meinung nach darin erreichte „Durch-
sichtigkeit", nicht überall vorhanden ist.

Für einen solchen Vorwurf, wie wir ihn hier anssprachen,
fühlen wir uns zunächst verpflichtet die Belege beizubringen;
überhaupt werden wir das, >vas wir an dem Werke auszusetzen
haben, vorweg offen aussprechen und nachzuweisen suchen, um
dann Raum für das Bedeutende und überwiegend Positive, das
in demselben enthalten ist, zu gewinnen. Wir haben schon in
der Einleitung bemerkt, daß die Schwächen des Werkes haupt-
sächlich formaler Art sind. Der formale Gesichtspunkt
ist also derjenige, auf welchen wir uns zunächst stellen.

Hier haben wir nun zuerst einen wesentlichen Einwand zu
erheben, nämlich den, daß der Verfasser — statt seine aus dem
Studium der alten Meister und in Folge seines Werkes „Ueber
das Wesen der Malerei" geschöpften kunstphilosophischen Resultate,
die er in der Vorrede als „Definitionen" und „Erörterungen"
bezeichnet, vorweg in einer zusammenhängenden philosophischen
Deduction hinzustellcn — sofort in die Betrachtung der einzelnen
Meister selbst eintritt, und zwar zunächst in die des Venezianers
Giorgone. Schon in den ersten Zeilen stoßen wir auf einen
der im Verlauf des Werkes zu Stichwörtern gewordenen, aber
nirgends an sich erklärten Ausdrücke. Er sagt (Seite 3)
nämlich, indem er von der Verschiedenheit der Werke des ge-
nannten Meisters spricht, daß es sich damit wie mit denen des
Lionardo daVinci verhalte: „nur die große Gewichtigkeit
ihres inneren Lebensfonds" sei, bei äußerlicher Ueberein-
stimmung mit den Arbeiten ihrer bedeutenden Schüler, niaaßge-
bend, um sic von diesen zu unterscheiden". Schon diese Kon-
sequenz deutet klar an, daß der Ausdruck „Gewichtigkeit des
inneren Lebensfonds" bei Unger keine bedeutungslose
Phrase ist, sondern daß er, weil etwas „Maaßgebendes", ein
Substanzielles, folglich ganz Bestimmtes darunter versteht und
verstanden wissen will. Wenn dies aber so ist, warum erklärt
er den Ausdruck nicht genau? Und warum hält er nicht an ihm,
als an einem bestimmten Kriterium, das eben nur durch diese
und keine anderen Worte bezeichnet werden könne, fest? Nun aber
finden wir den obigen Ausdruck nur einmal, nämlich an der
angegebenen Stelle, dagegen eine Menge anderer, mehr oder
weniger ähnlich-, aber nicht gleichlautender, auch nicht gleichbe-
deutender, z. B. „Kraft der Lebenswucht" (S. 96), und zwar ge-
 
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