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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 10.1865

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https://doi.org/10.11588/diglit.13555#0189

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178

Fassung dieser Definition, scheint uns auch der Ausdruck „künst-
lerische Handhabe" keineswegs glücklich gewählt und eher auf
Technik als auf Stil zu Passen. — Alles künstlerische Gestalten
geht selbstverständlich von einer Unter- und Abscheidung des
Wesentlichen vom Zufälligen im gegebenen Naturmotiv aus.
Diese Ausscheidung des Zufälligen ist jener chemische Gestaltungs-
proceß im künstlerischen Schaffen, den man „Zdealisiren" zu nennen
Pflegt. Die Idee liegt nämlich in jedem Dinge, nur ist sie
durch die Wirklichkeit getrübt, verdunkelt, so zu sagen latent.
Wird nun dies die Idee trübende Element, welches eben das
Zufällige der Erscheinung ist, abgethan, so wird die Idee frei,
das Objekt also ideal: und die künstlerische Realisation dieses
so idealifirten, d. h. ideell gefaßten Objeks bringt eben das Stilge-
präge hervor. Dies stimmt völlig mitlknger'sAnsicht überein, wenn
er (S. 317 u.) sagt: „Wenn der Stil fehlt, so fehlt auch die Idea-
lität, die Bedingung alles Schönen in der Kunst, und es stellt sich
im besten Falle nur ein Wirkliches dar, das seine geistige Be-
deutung noch verschlossen in sich trägt und daher nicht als
ein Kunstwerk gelten kann"; und weiter: „Ohne Erkenntniß der
Natnridee, die sich erst offenbart, wenn der Künstler das
Wesentliche von dem Zufälligen zu unterscheiden weiß,
wird in der Kunst nie etwas Bedeutendes geleistet, also auch
nicht ohne Stil" und nun folgt die obige, nicht korrekte Defi-
nition von „Stil". — Weiter sind nun aber die Unterschiede in die-
sem allgemeinen Begriff von L>til nachzuweisen (was Unger nicht
gethan). Soweit es sich nämlich bei dem Stil nur um die
Ausscheidung des Zufälligen aus dem Motiv, also um die Jdea-
lisirung des Stoffs handelt, ist der Stil etwas ganz Allgemeines,
schlechthin Künstlerisches; cs ist dies gewissermaaßcn der objektive
Stil. Die besondere Weise aber, in tvclcher die Rcalisirnng
der Idee im Kunstwerk erstrebt und relativ erreicht wird, und
welche jeder Kunstschule, ja jedem Künstler eigenthümlich ist,
bildet ein individuelles Stilgeprägc, das man den subjektiven
Stil nennen kann. Wenn auch solche Unterschiede und Gegen-
sätze leicht gemißbrancht werden und zum Schematismus führen kön-
nen, so ist doch ihre Anwendung — falls sie in bestimmtester Weise
aus dem Wesen der Sache erklärt sind, so daß sie konkreten und
an sich wahren Begriffen entsprechen — sehr praktisch, da sie
einfach, wortersparend und bestimmt sind. Der objektive Stil
nun scheidet sich zunächst, nach den betreffenden Kunstgebieten in
den architektonischen, den plastischen und den maleri-
schen Stil; eine Unterscheidung, die jedoch nicht dahin zu ver-
stehen ist, als ob der architektonisch^ Stil nur auf die Architektur
u. s. f. beschränkt sei, sondern diesen Unterschieden liegen tiefere
Differenzen zu Grunde, auf die wir hier nicht weiter eingehen
können, indem wir nur (jedem Künstler verständlich) bemerken, daß
der architektonische Stil z. B. auch in einer Landschaft, der ma-
lerische Stil bei einem Bildhauerwerk u. s. f. statthaben kann.
Beschränken wir uns nun, unserm Gegenstände gemäß, auf die
Malerei, so ist ferner bei dem objektiven Stil der Unterschied
der Gattungen, sodann der zwischen Farbe und Form in
Rechnung zu bringen. Der erstere begründet die Gegensätze des
h i st o r i s ch e n und g e n r e h a f t e n Stils, und zwar ebenfalls nicht
nur für Historie und Genre, sondern ebenso sehr für Portrait
und Landschaft u. s. f. Der zweite Unterschied begründet den Ge-
gensatz zwischen dem koloristisch en und dem kompositionel-
len Stilgcpräge. Alle diese Differenzen, im Wesen des Stils
begründet, sind nun weiter für den subjektiven Stil einer be-
stimmten Küustlerindividualität Voraussetzungen, sofern sie
darin enthalten sein müssen und nur auf besondere Weise modi-
sicirt erscheinen. Diese besondere Weise bildet nun Das, was
man „Stil" bei einem bestimmten Künstler nennt.

Wenn nun Unger — um nach dieser langen, aber nothwen-
digen Zwischenbemerkung auf ihn zurückzukommen — bald von
„Stil" im Allgemeinen, bald von dem „Stil Rembrandtzs, Ra-
phaels" u. s. f. spricht, so verfällt er dem Leser gegenüber wieder
in den Fehler der Unklarheit, da, wie wir gesehen, das Wort
„Stil" eine so große Menge der bestimmtesten Begriffe enthält,
daß ohne vorhergehende systematische Erläuterung des Begriffs
im einzelnen Falle gar nicht oder doch nur durch die weitschwei-
figsten Umschreibungen zu bestimmen wäre, welche von diesen
Begriffen er gerade hier verstanden wissen wolle. Namentlich
vermissen wir die Unterscheidung des koloristischen und komposi-
tionellen Elements im Stil. Bald faßt er den Ausdruck in dem
einen, bald im andern Sinne, ohne dies je bestimnit anzudcuten.
Diese Vermischung verwandter, aber in ihrer Unterscheidung scharf
umgrenzter Begriffe macht es allein erklärlich, wie er bei seiner
Parallele zwischen Rembrandt und Raphael zu Aeußerungen
kommt, welche nahe an Sophisterei streifen, z. B. wenn er (S. 317)
sagt: „Rembrandt tritt der von ihm zur Darstellung gewähl-

ten gemeinen Natur mit derselben Ehrfurcht gegenüber,
wie Raphael der edleren; denn beiderlei Formen sind von
demselben Geiste durchdrungen, dessen Offenbarung hier wie
dort erst durch Jdealisirnng möglich wird." Wir kommen
auf diesen Punkt später zurück, und konstatiren nur, daß Unger
den Stil einerseits wesentlich als maleri sch en Stil und andrer-
seits als subjektiven Stil faßt. Er läßt sich auf den Inhalt als
solchen nicht ein, das Motiv seinem Gedankengehalt nach bleibt
dabei außer Frage und gewissermaaßen zur freien Disposition:
es ist bei des Verf.'s Vorstellung von „Stil" etwas mehr oder
weniger Indifferentes, und doch wäre gerade bei jener Parallele
der Gegensatz zwischen dem rein idealistischen Stilgepräge Raphaels
und dem realistischen Rembrandts, was die kompositionelle Ge-
staltung betrifft, mit Entschiedenheit hervorzuheben geivcsen.

Daß er den Stil hauptsächlich als koloristisches Stilge-
präge faßt, geht aus einer Vergleichung der oben angegebenen
Definition (S. 318) mit seiner Theorie über die Ablveichung
der Knnstfarbe von der Naturfarbe hervor. S. 177 sagt
er: „Die vorsätzliche Abweichung des künstlerischen Kolorits von
der Wirklichkeit, besonders in sofern es die Carnation betrifft, ist
eine Erscheinung, die einen Standpunkt «»deutet, in welchem
man zu der Ueberzeugung gelangt ist" (Welche Weitschweifigkeit!
warum nicht einfach: Die Abweichung... betrifft, gründet sich
ans die Ueberzeugung), „daß die Kunst ganz andere Bedingungen
zu erfüllen habe, als die Natur mit möglichster Treue dem Auge
genügend darzustellen." (Nun, das wäre übrigens noch kein
Grund zu einer Abweichung in der Farbe.) „Vielmehr
kommt es in der Kunst darauf an, den Lebenssinn zu er-
schließen in der Offenbarung der Ideen, welche einer darzu-
stellcndcn Erscheinung zu Grunde liegen" (d. h. kurz: die Idee,
befreit vom Zufälligen, zu erfassen). „Dieses zu ermöglichen,
erleidet das wirkliche Koloisit in der Kunst eine Aeuderung"
(die Konsequenz leuchtet nicht ein), „und diese Aeuderung
ist es, welche die Erreichung des künstlerischen Zweckes möglich
macht, denn diese Aeuderung veranschaulicht die in der Natur
verborgene Idee." Wieso? möchten wir fragen. Man sieht, >vie
der Vers, sich gedanklich abarbeitet, um seine im Grunde richtige
Vorstellung deutlich zu machen. Aber da er das eigentliche
punctum saliens verfehlt — denn die Aeuderung des Kolorits
ist begrifflich nicht motivirt; — so wird er nun uni so undeutlicher.
Er hätte von der kompositionellen Seite, von der Form, aus-
geheu müssen, um aus ihrer, durch die Jdealisirnng gebotenen
Abweichung von der Naturform eine dann als nothweudig sich
ergebende Konsequenz für die Modifikation der Farbe zu ziehen.
Einige Seiten später (S. 181) kommt er noch einmal darauf
zurück, gleichsam als ob ihm das oben Gesagte »och nicht genüge,
indem er bemerkt: „Wie gesagt, kommt es im Kolorit weniger

darauf an, die Farbe der Erscheinung au sich zu bestimmen.
Denn welches ist denn die Farbe an sich, da jeder anders sieht?"
Das ist's nicht; denn wenn ein Künstler die Natur anders sieht
als ein anderer, so sieht er auch die Farbe, womit er malt,
entsprechend anders, so daß sich diese Differenz, auch für den
Beschauer, der die Natur mit dem Bilde vergleicht, wieder aus-
hebt. Aber nun faßt Unger die Sache tiefer und wahrer, indem
er sagt: „Die bedeutende Seite des Kolorits beruht vornehmlich
in der sicheren Bestinimung des Gr a de s der Geltendmachung
ihrer Tinten" (Leuchtkraft). „Welche Farbe für die »virkliche
Farbe snbstituirt ist, ist" (doch nur bis zu einer gewissen Grenze)
„in der Malerei gleichgültig: auf den geistigen Parallelis-
mus kommt es an, den die Kunst mit der Natur in jener
Maaßbestimmung herzustellen vermag." — Das ist fein ge-
fühlt, klar gedacht und darum auch ohne die sonstige dunkle
Weitschweifigkeit in verhältnißmäßig einfacher und bestimmter
Weise ausgedrückt. Erklärungshalber hälte freilich der Vers, hin-
zusetzen sollen, daß der Grund davon in der Nothwendigkeit
liegt, das Natur licht im Gemälde durch Tongegensätze,
also durch die natürlichen Farbendifferenzen, für die Illusion
künstlich zu schaffen. Denn hierin liegt die prineipielle Gradver-
schiedenheit der Naturfarbenscalen von den Kunstfarbenskalen, und
diese Verschiedenheit erfordert weiterhin eine Verschiedenheit der
Farbenbasen. Daraus folgt also eine gewisse Freiheit in der
Wahl von Farbenbasen. Gleichwohl hat natürlich diese Wahl-
freiheit ihre Grenze, einerseits durch die Natur selbst, anderer-
seits durch die Idee. Das, ivas man „Grundton" im Gemälde
nennt, und ivas für die graduelle Maaßbestimmung der einzelnen
Töne das Bedingende ist, kennt in diesem Sinne die Natur
nicht. Welche Basis aber zu wählen sei, das ist nicht blog
Sache des objektiven Stils, d. h. der inhaltlichen Idee des Mo-
tivs, sondern auch Sache des subjektiven Stils, d. h. der indivi-
duellen Anschauungsweise des Künstlers. (Fortsetzung folgt.)
 
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