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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 10.1865

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https://doi.org/10.11588/diglit.13555#0208

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näher steht als der Malerei: und hierin, nicht aber in
einem besonderen Unvermögen, liegt der Grund, daß die
nach den Cartons ausgeführten Gemälde dem großartigen
Eindruck und der Jdeentiefe der Kompositionen nichts hin-
zufügen können, sondern eher diese Größe und Tiefe beein-
trächtigen. Dies beinträchtigende Element ist die Farbe.

Ganz anders bei Raphael. Er schöpfte aus der Un-
mittelbarkeit des Glaubens an die christliche Tradition eine
wunderbare Einheit von diesseitiger Schönheit und jen-
seitiger Jdeenmhstik und brachte sie zur vollendetsten Offen-
barung als Harmonie des malerischen und formalen Ele-
ments. Diese ist nun gebrochen und mit der Unmittelbar-
keit des Glaubens selber verloren gegangen, und so können
alle späteren religiösen Kunstanschauungen, die nicht lediglich
sich traditionell an Raphael anschließen, erst durch eine
Vermittlung gewonnen werden — möge diese nun als
eine Vermittlung der Phantasie oder der Reflexion gefaßt
werden. Jene Raphael'sche Harmonie macht in der
gesammelten Heiterkeit ihrer Empfindungsweise, welche
jeden Gegensatz eines schlechte» Diesseits gegen ein ideales
Jenseits für die Anschauung ausschließt, sondern vielmehr
das Jenseits als das ideale Diesseits, Christus als
den göttlichen Menschen, zur real-künstlerischen Erscheinung
bringt, einen ähnlichen Eindruck wie die Heiterkeit des
hellenischen Lebens. Nichts von Ascetik und Selbstka-
steiung, aber anck nichts Sentimentales und Schwäch-
liches: gesunde, reale, aber zugleich im Tiefsten beseelte
und durchgeistigte Schönheitsoffenbarung.

Dies ist, wie gesagt, verlorengegangen, und aus dem Zwie-
spalt ist nur eine Rückkehr zur Einheit durch dieVermitt-
lung möglich; diese aber trägt die Differenz selbst als
Pfahl im Fleische mit sich herum: keine Unbefangenheit mehr,
keine Naivetät, keine Heiterkeit — Kampf gegen das sinnliche
Element im Glauben, Abwehr der bloß realen Schönheit
auf der einen Seite, Versenkung in die ideelle Mystik der
Tradition bis zu einer fast abstrakten Tiefe auf der anderen
Seite. Aus der letzteren entsprang die grandiose Weise
der Anschauung, wie sie Cornelius zeigt, und welche
eine Negation des malerischen Elements nothwendig zur
Folge hat, aus der ersteren die ascetische Mystik, welche sich
bei Overbeck oft mit abstruser Unschönheit und schwäch-
lichem Kolorit paart. Beide aber zeigen nicht blos Ernst
— diesen besitzt Raphael bei aller Heiterkeit in idealster
Weise und vielleicht in noch höherem Maaße — sondern
Ernsthaftigkeit. Der Humor, die heitere Ironie, die
Schalkhaftigkeit: Alles dies ist ihnen als Künstlern fremd.
Sie schweben mit ihren religiösen Anschauungen immer
in einer der irdischen Harmonie und Schönheit fremden,
kühlen Region abstrakter Idealität, Cornelius wie ein
Adler, der kühn in die Sonne schaut ohne geblendet zu
werden, Overbeck wie eine Taube, die nach dem Oel-
zwcig auffliegt.

Auch dies haben sie bei aller Verschiedenheit gemein,
daß sie durchaus aufgehen in die religiöse Idealwelt, wie
sie sie anschaucn, und daß sie in dieser Anschauung ori-
ginal sind. Denn wenn auch Overbeck sich seiner Ge-
sühlsweise nach einerseits an Fiesole, andererseits an
die altdeutschen Meister anschließt, wenn auch Cornelius

einige Anklänge an die großartige Konceptionsweise Mi-
chelangelo's zeigt, so stammen diese Aehnlichkeiten doch
mehr aus einer innerlichen Verwandtschaft des Empfindens,
als aus einem Parallelismus der Stilformen. Corne-
lius und Overbeck, jeder in seiner Weise, sind die letz-
ten großen religiösen Künstler Deutschlands, wie Flan-
dein der letzte Frankreichs. Was nach ihnen kommt, ist
mehr oder weniger schwächliche Stilnachbildung, ohne Nai-
vetät, ohne Größe, ohne innere Wahrheit und ohne nach-
haltige Wirkung.

Wenn also weder Cornelius noch Overbeck zwar
große Künstler, aber keine großen Maler sind, wenn ihre
Art und Weise, den Inhalt der religiösen Tradition auf-
zufassen und darzustellen, ohne die Farbe und außerhalb
derselben ihre Wirkung sucht und erreicht, weil ihnen das
für die Farbe nothwendige Element sinnlich-schöner Realität
mangelt: so liegt darin eben der Beweis, daß auf dem
Gebiet der malerischen Anschauung die religiöse Kunst
keinen naturgemäßen Boden mehr hat, und daß umgekehrt
die Malerei für ihre zukünftige Entwicklung von der reli-
giösen Kunst her nichts erwarten darf.

Wir besitzen allerdings heutzutage ganz eine re-
spektable Reihe religiöser Maler — von drei der be-
kanntesten, Deger, Ittenbach und Karl Müller,
geben wir heute die Portraits — wir wollen auch durch-
aus ihren Werken nicht Bedeutung und künstlerischen Werth
absprechen: allein das Höchste, was sie leisten, beschränkt
sich darauf, im Geist und Stil der alten Meister oder in dem
von Cornelius oder Overbeck zu komponiren. Eine ur-
sprüngliche Kraft der Begeisterung, eine selbstständige Ener-
gie der Empfindung und Anschauung dringt nirgends durch,
kommt nirgends zum Vorschein. Liebevolles Eingehen in
die großen Vorbilder, fleißige Durcharbeitung der Kompo-
sition, sorgfältige Ausführung: das sind ihre höchsten
Künstlertugenden.

Diese aber reichen nicht hin, um die Kunst auf höhere
Bahnen zu lenken, das bleibt außer aller Frage. Irren
aber würde man auch, wenn man in den Personen diesen
Mangel suchen wollte, als ob es vielleicht dennoch möglich
sei, daß andere, größere Künstler noch auftauchten, welche
die religiöse Malerei plötzlich auf einen ungeahnten Weg
lenken und so der Kunst auch auf diesem Gebiete einen
neuen Aufschwung bereiten könnten. Nein, die religiöse
Kunst hat ihre Kulminationsepoche, ihre Blüthe hinter
sich. Aus dieser sind die wunderbaren Meisterwerke ent-
sprungen, welche als unerreichbare Vorbilder für alle Zei-
ten und für alle Bestrebungen gegenwärtiger und zukünfti-
ger Künstler gleichsam typisch geworden sind.

Wenn aber nicht auf dem Gebiete der religiösen Kunst,
auf welchem andern dann ist ein Fortschritt, ein Auf-
schwung möglich? — oder gehen wir nur abwärts? Hier-
über haben wir uns bei andern Gelegenheiten ausgespro-
chen, und können wir namentlich auf den letzten Abschnitt
unsres Artikels „Welche Sujets eignen sich besonders für
die heutige Historienmalerei" (Nro. 11 d. Diosk.) sowie
auf den Bericht über den Vortrag des Unterzeichneten im
„Wissenschaftlichen Kunstverein" (Vergl. Nro. 19 d. Diosk.)
über das gleiche Thema verweisen. Max Schasler.
 
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