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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 10.1865

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https://doi.org/10.11588/diglit.13555#0222

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imponirend ist, das Verhältnis der Breite zur Länge bleibt
doch immer störend, und zwar um so mehr, da die äußer-
sten Seitenschiffe die inneren an Breite übertreffen. Auch
die 1533 erbaute unpassende, achteckige, hohe Kuppel über
den Vierung, ist gewiß auf Rechnung jenes Wagh emaker
zu setzen. Im Uebrigen will ich nur hinzufügen, daß
eine lobenswerthe Restauration der Westfaeade hier in
vollem Gange ist; sie wäre noch lobenswerther, wenn sie
mit Niederreißen der auch hier dem Bau angeklebten
Häuser, welche die Süd- und Ostseite fast ganz verdecken,
begonnen hätten

So reich auch die Fülle von Gemälden und Skulpturen
sein mag, mit denen noch jetzt, nachdem durch die Revo-
lutionen die stofflich werthvollen Gegenstände verloren ge-
gangen sind, die Antwerpener Kathedrale geschmückt ist,
aus der älteren flämischen Schule hat sie fast nichts auf-
zuweisen. Denn eire nur von Nichtkennern dem Roger
v. d. Wehden beigelegte Vermählung der heil. Jungfrau
in der ersten Chorkapelle (vom südlichen Seitenschiffe aus)
ist weit von ihm entfernt, und ein „heil Christophaus von
Memling", den Lotz (Statistik der deutschen Kunst) als
„über Herrn Florent von Ertborn's Grabe" befindlich hier
anführt, beruht wahrscheinlich auf einer Verwechselung mit
dem heil. Christophaus in der Akademie zu Brügge; von
Memling ist kein Bild in einer Antwerpener Kirche und
von Ertborn's Grab befindet sich nicht in der Cathedrale,
sondern in der Kirche St. Jacques. Für diesen Mangel
an Werken aus kostbaren Stoffen und an Bildern der
älteren flämischen Schule entschädigt uns aber die Voll-
endung zweier Meisterwerke von Rubens. Das erste
ist die weltberühmte „Kreuzabnahme" (im südlichen Kreuz-
flügel), nach der noch nach dem trefflichen Stich von
Wagner, wenn ich nicht irre vor zwei Jahren, ein eben
so meisterhafter von dem bald nachher gestorbenen belgi-
schen Kupferstecher Erin Corr erschienen ist. Wenn auch
die Flügelbilder dieser „Kreuzabnahme", nämlich die „Heim-
suchung" und die „Darstellung im Tempel", die mir dem
Hauptbilde in einem so entsprechenden Gedankenzusammen-
hange stehen, der seinen Ausgangspunkt in dem heil.
Chistophorus, dem Christusträger, der Außenseite hat, künst-
lerisch schwächer sind als jenes Hauptbild, so war es mir
doch interessant, das Ganze zum ersten Male in diesem
Zusammenhänge erblicken zu können. Die Malerei des
Mittelbildes, das mir übrigens einer sorgfältigen Restau-
ration bedürftig schien, giebt uns erst einen wahren Be-
griff von dem, was Rubens malen konnte, wenn er, wie
auf dieses Bild, Jahre verwendete. Wäre Alles so voll-
endet wie diese „Kreuzabnahme", wir besäßen gewiß um
die Hälfte weniger Bilder von ihm, und das wäre meines
Erachtens kein Unglück. Fast noch interessanter war mir
der Anblick der gegenüber im nördlicher Kreuzflügel han-
genden „Kreuzeserhöhung" deren Hauptgedanke, im Gegen-
satz zu dem ausdrucksvollen Leiden des Erlösers, in dem
verschiedenartigen Ausdruck der Bewegung und Leidenschaft
liegt, mit der die Feinde Christi an der Vollziehung seines
Kreuzestodes arbeiten und Mitwirken. Die ganze Scene
ist eine der bewegtesten, die Ruben's Pinsel geschaffen und
eben dadurch uni so bedeutungsvoller, weil meines Wissens
kein Künstler vor ihm diesen Moment dargestellt hat; erst
durch ihn wird dieser Gegenstand in der Malerei einge-
bürgert. Wir sahen ihn von van Dhk in der Peters-
kirche zu Löwen. — Viel weniger bedeutend, als diese bei-
den, ist ein drittes Bild von Rubens, „die Himmelfahrt
Maria" über dem Hauptaltar des Chores; dünn und
durchsichtig von Farbe, kühn und rasch, aber allerdings
flüchtig, wenn auch vielleicht nicht in 16 Tagen gemalt,
wie die Sage geht.

Aus den übrigen Kunstwerken der Kathedrale, unter
denen ich zu meiner Betrübniß abermals eine zopfige,
phantastische Kanzel von dem in Brüssel erwähnten Ber-
bruggen erblickte, will ich nur die prächtigen gothischen
Chorstühle erwähnen, die nach den Zeichnungen des Ar-

Kommissions-Verlag der Nicolai'scheu Verlags-Buchhandlung i

chitekten Durles ausgeführt, mit Recht als das Haupt-
werk des 1855 verstorbenen Bildhauers und Bildschnitzers
Karl Hendrik Geerls gelten. Reich an figürlichen
Darstellungen in Statuetten und Reliefs, beweisen sie
nicht allein ein vollständiges Verständniß der Gothik, son-
dern auch eine äußerst geschickte Technik.

Außer der Kathedrale wüßte ich unter den mittelalter-
lichen Kirchen Antwerpens nur noch St. Jacques, die
einer näheren Betrachtung werth ist. Der Anblick des
Innern ist aber auch wirklich lohnend, denn obwohl aus
der Spätzeit, ja sogar aus der Zeit des Verfalls der
Gothik.herrührend, zeichnet sie sich doch durch eine vollen-
dete Harmonie ihrer Verhältnisse und durch eine Einfach-
heit aus, die sich aller Entartungen jener Zeit enthalten
hat. Wenn aber Schatzes in seinen hist, äs l’ar.chifec-
ture en Belgique (II. S. 213) und nach ihm Lotz den
Anfang der Erbauung ins Jahr 1429 setzen, so ist das
nach den neuesten Forschungen von van Lerius und
G enS ein Jrrthum: der jetzige Bau wurde erst im letzten
Decennium des 15. Jahrhunderts nach dem Plane von
Herin. von Waghemaker begonnen, unter welchem
Dierk Co fsermaker der ausführende Maurer war.
Dem Ersteren folgte dann sein bei der Kathedrale er-
wähnte Sohn Dominicus Waghemaker, deni Letz-
teren Adrian Spillemans. Bis 1525 wurde der Bau
der Kirche, bis 1533 der des Thurmes eifrig betrieben;
da gerieth das Werk ins Stocken und wurde erst um die
Mitte des 16. Jahrhunderts und auch da, wie es scheint,
ohne gehörigen Nachdruck wieder ausgenommen, so daß
es dem 17. Jahrhundert Vorbehalten blieb, wenigstens die
Kirche zu vollenden. Das geschah, und zwar auffallender
Weise ganz nach dem Plane der beiden Waghemaker,
ohne Beimischung der Renaissance und des Rokokos. Der
mächtige Westthurm blieb natürlich, da er auf eine riesen-
hafte Höhe projectirt war, unvollendet. Was in Anlage
und Aufbau des Innern von der Mehrzahl der belgischen
Kirchen unterscheidet, sind die Kapellen neben den Seiten-
schiffen des Langhauses und unter den Oberlichtern die an
die Stelle des fortlaufenden Triforiums getretenen Balkons
mit vorspringender, durchbrochener Brüstung; im Uebrigen
die gewöhnlichen, schlicht runden Arkadenträger mit acht-
eckiger Basis.

Wenn der erste Grund, der die Kunstfreunde zu einem
Besuche der Kirche St. Jacques veranlaßt, ein architek-
tonischer ist, so ist der zweite der der Verehrung für den
großen Meister der flämischen Malerei In der mittleren
der sieben den Chor umgebenden Kapellen ruhen die Ge-
beine des Rubens und seiner Familie. Ueber dem Altar
dieser Kapelle eines seiner Meisterwerke, das sowohl wegen
des Kolorits als wegen der Portraits von hohem Werthe
ist. Es ist nämlich ein reines Familienstück, übertragen
auf die heil. Jungfrau, die das Kind dem heil. Hierontz-
mus vorstellt. Rubens selbst hat sich als Ritter Georg,
seinen Vater als den heil. Hierontzmus, seinen Großvater
als die Zeit oder Kronos, seinen Sohn als einen Engel,
und seine zweite Frau Helena Fourment als Maria Mag-
dalena dargestellt; zweifelhaft ist es, ob in der heil. Jung-
frau die Züge seiner ersten Frau Jsabella Brandt, oder,
was wahrscheinlicher ist, die des Fräuleins Lunden ans
dem bekannten Chapeau de paille zu erblicken sind.

Auch die anderen Kapellen des Chores und des Lang-
hauses sind so reich an Werken der Malerei und Skulptur,
wie in wenigen anderen Kirchen Belgiens, aber künstlerisch
hervorragendes ist nichts darunter, wenn man nicht etwa
ein Interesse daran findet, den ersten Lehrer des Rubens,
Adam van Noort, hier kennen zu lernen, von dem sein
großer Schüler, ich will nicht entscheiden mit welchem
Rechte, sagte, daß er alle übrigen Meister übertroffen
hatte, wenn es ihm vergönnt gewesen wäre, Nom und die
Antike zu schauen. Selbstverständlich sind die meisten an-
deren Malereien aus der reich verzweigten Schule des
Rubens. (Forts, folgt.)

i Berlin. (G. Parthey) — Druck von G.Bernstein in Berlin.
 
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