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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 10.1865

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https://doi.org/10.11588/diglit.13555#0224

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214

Strebens ihm vorschwebt, während das Ideal des Deutschen
zum größten Theil in der Sache selber liegt, für die er
sich begeistert. Ihm ist die Wahrheit eine Gefühlssache,
dem Franzosen ist sie ein Gegenstand des Triumphs und
der Eitelkeit. Die Begeisterung für die Idee entspringt
beim Franzosen im Kopfe, beim Deutschen im Herzen.

Daß ein solcher Standpunkt, wie ihn der Franzose
gegenüber den Objekten des Denkens und Anschauens
einnimmt, nun und nimmermehr zu einer wahrhaften Ver-
tiefung in den ideellen Inhalt führen kann, liegt auf der
Hand. Als Beleg der Auffassungsweise in Sachen der
Kunstkritik geben wir hier eine Probe aus dem Bericht
über den „Paiser Salon", welchen das ckournal riss Lsaux-
Arts in seiner Nummer vom 27. Mai bringt und der
J. J. Guiffrey unterzeichnet ist.

„Oft haben wir uns gefragt" ■— so geginnt Mr.
Guiffrey ganz naiv — „kraft welcher Gesetze man die
Werke der Kunst beurtheilen müßte, ohne daß wir je
eine durchaus genügende Antwort gefunden hätten: vergebens
haben wir die Systemfabrikanten konsultirt, unser Zweifel
hat sich nur vermehrt. Also (!) haben die ästhetischen
Streitfragen keinen Sinn, weil uns die Principien fehlen.
Es giebt in Dingen der Kunst kein einziges Princip,
welches einstimmig acceptirt wäre." —Wie? Zst das Princip,
daß die Kunst „Darstellung des Schönen" sei, schon von
Jemand bezweifelt worden? Aber angenommen, es wäre
Dem so, so könnte man mit demselben Rechte schließen: „Die
Religion hat keinen Sinn, weil es nur verschiedene Kon-
fessionen giebt, die Kunst selbst hat keinen Sinn, weil es
nur verschiedene Richtungen und Schulen giebt, die Phi-
losophie hat keinen Sinn, weil kein System dem andern
gleich ist." Aber gerade in dieser Verschiedenheit liegt ihre
Wahrheit, weil sie alle einander ergänzen. Existirt der Begriff
des Menschen nicht, weil es nur Mann und Weib giebt? —

„Vielleicht thun wir am besten" — heißt es weiter —
„wenn wir, anstatt einer Regel zu folgen, die uns im
Stich laßt, alle vergebliche Forschungen vergessen und
ohne Vornrtheile und Erinnerungen (!) vor die Werke
selbst treten, die wir abschätzen wollen." — Zum Ab-
schätzen gehört aber doch wohl ein Maaßstab! — „Vielleicht
dürfte in der That diese Jungfräulichkeit des Blicks und
des Geschmacks" (die der Botokude auch hat) „zur bil-
ligsten Beurtheilung Aller führen." (billig, ja wohl!)
„Aber es ist zu spät: der Geschmack, beunruhigt durch die
Verschiedenheit der Schulen, ist raisonnirend gewor-
den, und da wir ihm nicht die Naivetät der Anschauung wie-
dergeben können, sind wir gezwungen, ihn unaufhörlich zu
belehren." Ob Herr Guiffrey wohl selbst verstanden hat,
was er schrieb?

„Werfen wir alle Metaphysik beiseit, die Kunst ent-
zieht sich der Analyse" — da haben wir die Analyse,
die Secirnng bei lebendigem Leibe, und das nennen jene
Herren Metaphysik; mit demselben Recht wie ein abge-
lebter Bonvivant, der sein Vermögen und seine Kräfte
verpraßt hat, endlich fants äs mieux zum „Philosophen"
toirb > weil die Trauben hoch hängen. — „Man kann
wohl die einzelnen Stücke einer Uhr auseinander nehmen,
aber die Kraft selbst, welche das Werk in Bewegung setzt,
entzieht sich dem Auge des Mechanikers". — Wieso denn?

Da die einzelnen Stücke ja auf die Eigenschaft dieser Kraft
hin konstruirt sind, muß sie doch wohl dem „Mechaniker^
erkennbar sein. — „Ebenso kann man in einem Kunstwerk
die materiellen Bestandtheile, aus denen eS zusammenge-
setzt (!)• in, wie Farben und Linien, die Erhabenheiten
und Vertiefungen unterscheiden, aber der Hauch, welcher
sie belebt und schön macht, wird uns" (NB. Hr. Guiffrey)
„stets entgehen."

Was sagen nun unsre deutschen Künstser zu dieser Probe
französischer Kunstanschauung? Doch cS kommt noch besser.

„Wozu besucht man den Salon? Um auf der Leinwand
oder im Stein die Reproduction von D ingen anzu-
schauen, denen m an in der Natur beg egnen kann. Aber
mit wie verschiedenem Auge werden diese Darstellungen be-
trachtet!" Nach diesem geistreichen Gedanken werden nun
die verschiedenen Anschauungsweisen charakterisirt, nämlich
des Kindes, des Bourgeois, des Litterateur, des
Philosophen, endlich auch des wahren Künstlers;
es fehlt blos noch der Botokude. Doch vielleicht hat
Hr. Guiffrey diesen dankbaren Standpunkt für sich selbst
reservirt. Wenigstens liegt diese Bermuthnng nahe, wenn
man lieft, was er über die der Andern schreibt.

„Das Kind findet im Salon nur Gegenstände der
Neugierde; ihm kommt wenig darauf an, ob dies Werke
von Menschenhand sind; es nimmt sie für Realitäten und
beurtheilt sie weiter nicht." ■—„Der Bourgeois empfin-
det bei diesem Schauspiel noch ein weiteres Vergnügen. Er
ruft: vorn ine e'est bien ca! d. h. wie wahr, wie natur-
getreu wiedergegeben! Wenn nur die Kopie genau und
klar genug ist, daß er sich über den Gegenstand nicht
täuschen kann" (z. B. daß er ein Nilpferd für keine Wald-
nymphe hält!), kümmert er sich wenig um den Gedanken
des Künstlers". — „Ein „litterateur“ fordert schon mehr,
nämlich vor allen Dingen ein Werk der Einbildungskraft,
er verlangt vom Pinsel oder vom Meißel ein Gedicht, eine
Drama: selten fühlt er das passive und heitere Le-
ben der Dinge. Für ihn giebts keine Landschaft ohne
lebendige Staffage*) (!). Uebrigens versteht er weder
von Farbe noch von Zeichnung etwas: mit einem Wort
er beurtheilt nur das Sujet" (!) — Was zum Henker
mag denn Hr. Guiffrey sein, der doch auch in Literatur
macht, wenn er nicht „litterateur" ist? Unsere Bermuthnng
wird schon richtig sein: es bleibt ihm nur der Botokude."

„Der Philosoph, welcher nur Philosoph ist, begiebt
sich in den Salon,weil er Mensch ift"**) und weil nichts
sogenanntes Menschliches ihm fremd bleiben darf. Nun
hat er von der ästhetischen Bewunderung reden hören, er
muß sie also konstatiren und, unfähig sie zu empfin-
den, muß er sie wenigstens, so gut es geht, erklären.
Er sieht auch weiter nichts als Naturnachahmungen, aber zu
stolz, sie zum Gegenstände des Genusses zu machen, ver-

*) Pour lui point de paysage saus une scene, wie es
tut Original heißt, drückt den obigen Gedanken noch weit schärfer
aus, indem es zugleich an den Theatcreffekt erinnert.

D. R.

**) Wörtlich. Da indeß unsre Leser vermuthen könnten, daß
wir hier absichtlich (etwa der Persifflage wegen) die Worte ent-
stellen, mag der Wortlaut folgen: Le philosopbe, qui n’est que
philosophe, se rend au salon, parce qu'il est komme.

D. R.
 
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