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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 10.1865

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https://doi.org/10.11588/diglit.13555#0292

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282

Wir führten diese Stelle nur an, weil sie den Stand-
punkt des Verf.'s am schärfsten und einfachsten charakteri-
sirt; wobei wir uns nicht des Bedauerns erwehren können,
daß der Verf., bei so hoher und im Allgemeinen richtiger
Vorstellung von dem idealen Zweck der Kunst, sich in
seinen sathrischen Seitenhieben zu derlei extremen, durch
nichts bewiesenen Behauptungen Hinreißen läßt. Interes-
sant ist seine Stellung zur antiken Kunst, worüber
er mehrmals spricht:

„Damals (nämlich nach der gothischen Periode) wie
heute galt es als moderner Fortschritt, daß man in die
ausgefahrenen Geleise des abg elebten H eid enthums
wieder einzulenken suche. Großentheils ließ man sich durch
die Annahme beirren, die heidnische Kunst könne Hand in
Hand mit der christlichen gehen. Man übersah nämlich,
daß ihren Bildungen mit einander unverträgliche
Grnndanschauungen unterliegen, daß nothwendig
über einen bestimmten Ausgangs- und Zielpunkt Entschei-
dung getroffen werden muß, wenn man nicht als Spielball
hin- und hergeworfen werden und seine Kraft nutzlos oder
gar in schädlicher Weise verbrauchen will. Unter dem
ansprechenden Namen ^Renaissance" (Wiedergeburt) hielt
die Mischgattung ihren Umzug durch die christlichen Völker,
welche, so lange sie noch gleichzeitig an dem alten Erbgute
zehrten, den Abfall kaum bemerkten. Wenn längst schon
die Sonne untergesunken ist, wirkt bekanntlich ihr Licht
wie ihre Wärme in der Atmosphäre noch eine geraume
Zeit fort. Am zähesten erwiesen sich die unteren Volks-
schichten; allein da die Höfe, der Adel und das Gelehr-
tenthum, kurz Alles was vornehm und gebildet sein wollte,
dem Griechen-, Römer- und Ausländerthum, oder
vielmehr einem aus diesen Elementen und eigener Willkür
gebildeten „classisch en" Mischmasch huldigten, so er-
mangelte es dem Voske an einer geistigen Führung. Das-
selbe versank in Theilnahmlosigkeit und sah ruhig zu, wie
alles Angeerbte: Verfassung, Freiheit, Recht, Sitte, Lite-
ratur und Kunst, Stück vor Stück durch das was man
Philosophie, Wissenschaft, Aufklärung zu nennen beliebte,
hinweggeschwemmt ward, wie Karikaturen des Hei-
denthums sich an die Stelle der herrlichsten Bildungen
der eigenen Vergangenheit, selbst bis in's Heiligthum ein-
drängten. Die Erschlaffung, welche auf den Veistanz der
Rokoko-Zeit und die Orgien der Revolution gefolgt war,
führte naturgemäß den Despotismus herbei, welcher dann
endlich unser Volk wieder zum Selbstbewußtsein und zur
Thatkraft aufpeitschte. Kaum aber war ein gewisses Sicher-
heitsgefühl zurückgekehrt, als auch schon wieder in den alten
Schlendrian eingelenkt ward. Auf dem Kunstgebiet ins-
besondere versuchte man es abermals mit dem, durch die
Geschichte so augenfällig gerichteten antikisirenden
Sammelsurium d er Renaissance, statt die vorhan-
dene, aber verborgene Volkskraft zu wecken und an das
aus dem innersten Wesen der Nation Hervorgegangene
wieder anzuknüpfen. Bis auf den heutigen Tag noch
wird die Kunstjüngerschaft v on Amtsw egen mit
solchem Gebräue aus allen Stilen genährt, dem
ein Wissen ohne Einheit und Schwerpunkt entspricht, wäh-
rend es mit dem schöpferischen Können wo möglich noch
schlechter bestellt ist. Ein Theil, dem die babylonische

Stilverwirrung zuwider ist, der aber zugleich blind an die
ebenso hohle wie banale Phrase glaubt, daß „der Genius
der Geschichte keinerlei Rückschritt gestatte," legt sich in
der Verzweiflung auf die Erfindung einer nagel-
neuen Zukunfts kn n st, zu welcher die Zukunftsmusikan-
ten allbereits die Ouvertüre aufspielen."

Hierin liegt viel Wahres. Auch wir haben es mehr-
fach ausgesprochen, daß das moderne Antikisiren
eine Verirrung ist. Noch kürzlich bei unsrer Betrachtung
Genelli's (Nro. 33. S. 275) formulieren wir unsere Ansicht
dahin, daß „die Griechen die Einheit von Form und
Inhalt (worin alle wahre Kunst beruht) nur auf der
Basis ihrer künstlerischen und religiösen Anschauung be-
saßen, und daß sie darum in ihren Gestaltungen „klassisch"
waren, daß wir aber, wenn wir die den Hellenen natur-
gemäße Klassicität heute, bei total verändertem, mit
gänzlich anderm Inhalt erfüllten Bewußtsein
wiederaufwärnien, als ob sie uns natürlich sei, aufhören
„klassisch" zu sein und zopfige Böotier werden". Wenn
also der Verf. mit seinem satyrischen Seitenhiebe einer
„Erfindung einer nagelneuen Zukunftskunst" auf uns gezielt
haben sollte, in Erinnerung an unsere Betrachtung" ob „in
der religiösen Kunst die Keime einer höheren Fortbildung
für die Kunst überhaupt liegen" (Dioskuren 1865 Nro. 20.
22. 23) — eine Frage, die wir nämlich bestreiten zu müssen
glaubten — so wird er uns deshalb hoffentlich nicht zu den
„Philosophen" zählen, welche das Leben nur als Stoffwechsel
oder, wie er sich mit zweifelhafter Aesthetik ausdrückt,
„als Dünger für anderweitige Stoffentfaltungen" betrachten.
Ebenso vollständig stimmen wir ihm in seiner Aeußerung
über den akademischen Unterricht bei.

Schlagend sind auch seine Bemerkungen über den heu-
tigen öffentlich en Kunstgeschma ck, wobei er besonders
auf Berlin zielen zu wollen scheint. Auf S. 9 bemerkt er:
„Die durch den Polizeistock geregelten modernen Straßen
athmen eine fast tödtliche Langeweile aus; eine gußeiserne,
ölbestrichene Pumpe, etwa in Sarkophagenform, ein Kan-
delaber von bronzirtem Zink, ein Briefkasten nach irgend
einem für die ganze Monarchie in akademischem Stil ent-
worfenen Modell, das sind so ziemlich die höchsten Aufflüge,
welche die dem Volksleben zugewendete Kunstübung der-
malen zu nehmen vermag."

Weiter auf S. 14 geht er noch mehr in's Detail:
„Dank der officiellen Aesthetik ist es dahin gekommen, daß
das Publikum die kerzengraden Straßen mit ihren ange-
tünchten Wohnungskasten, die sich einander wie ein Ei
dem andern gleichen, sogar schön findet, daß nicht leicht
Jemand auch nur den mindesten Anstoß daran nimmt,
wenn die miserabelsten Plattheiten nach und nach Alles
verdrängen, was nur irgend ein künstlerisch gebildetes
Auge anziehen und befriedigen kann. Im Gegentheile:
wenn ein monumentales Thor durch ein gußeisernes Gitter
ersetzt, wenn ein vorspringender Erker wegrasirt oder wenn
ein hoher Giebel niedergeworfen oder eine Straße ge-
waltsam nach der Schnur gereckt ward, so ist das „Fort-
schritt." Nicht weniger enthusiasmiren sich, wie nahelie-
gende Vorkommnisse darthun, die Lokalkunstkenncr zu
Gunsten der Honoratioren, welche ihren Fenstern durch
dazwischengestellte korinthische oder jonische Säulen die
 
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