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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 10.1865

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https://doi.org/10.11588/diglit.13555#0304

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zielle Stellung an Nürnberg ab, welches grade auf dem Kom-
munikationswege zwischen Norditalien und Norddeutschland
lag. Schon im 12. Jahrhundert hatte es eine lebhafte
Verbindung einerseits mit Passau, andrerseits mit Worms
und den Niederlanden und stand mit 71 Städten in einem
gegenseitigen Zollkonventionsverhältniß. Aber erst in der
Mitte des 13. Jahrhunderts, als der direkte Verkehr zwischen
dem Orient und den italienischen, spanischen und franzö-
sischen Städten am mittelländischen Meer eine große Aus-
dehnung erhalten hatte, wurde der Handel Nürnbergs ein
eigentlicher Welthandel. Namentlich war es Venedig,
von wo aus die großen levantinischen Waarenzüge über
die Gebirgspässe Tirols nach Nürnberg gingen und
der Handel bann von diesem Stapelplatz aus durch ganz
Deutschland und weiter sich ausbreitete. Neben Nürnberg
waren es dann — und zwar auf Kosten des immer mehr
an Bedeutung verlierenden Regensburgs — besonders noch
Augsburg und Ulm, welche einen bedeutenden Auf-
schwung erfuhren. Es entwickelten sich nun strahlenförmig
eine Reihe von großen Handelsstraßen, welche alle Augs-
burg und demnächst Nürnberg zum Centrum hatten, näm-
lich einerseits über Erfurt, Braunschweig und Mag-
deburg nach Lübeck, Bremen, Hamburg, andrerseits
(nordwestlich) nach den Städten Flanderns, besonders dem
flandrischen Venedig, Antwerpen, sowie Brügge und
Gent, dritterseits (westlich) über Worms nach Straß-
burg, Metz und Verdun, außerdem nach der Schweiz
und Frankreich (Lyon), Spanien und Portugal, wo-
hin im 15. Jahrhundert die Familie B eh aim handelte, end-
lich nach Böhmen, Mähren und Ungarn, ja sogar
nach Danzig und Königsberg.

Dieser gewaltige, das ganze Europa umfassende Han-
delsverkehr hatte im 15. Jahrhundert die allergrößten Ver-
hältnisse angenommen, und war noch im 16. Jahrhundert
so bedeutend, daß im Jahre 1505 nürnberger Kaufleute
in Lissabon sich mit Portugiesen, Florentinern und Genue-
sen zur Errichtung einer Handelsverbindung vereinigten,
um indische Waaren von Calcutta nach Europa zu brin-
gen. Es darf uns daher nicht wundern oder als Ueber-
lreibung erscheinen, wenn der bekannte Astronom Regio-
montanus (d. h. der Königsberger; er stammte aus Königs-
berg in Franken und hieß eigentlich Johannes Müller) au
seinen Freund Roderus in Erfurt von Nürnberg schreibt:
loous ille perinde quasi Centrum Euro-pae propter
excursum mercatorum habeatur.

Eben so umfassend, wie der Welthandel Nürnbergs
in geographischer Beziehung erscheint, war er auch rück-
sichtlich der Hand elsobjekte selbst. Die Erzeugnisse aller
Zonen und Länder waren darin im reichsten Maaße und vor-
züglicher Qualität vertreten. Die einfachsten Naturprodukte
wie die kostbarsten Erzeugnisse des Kunstfleißes waren in
größter Auswahl vorhanden: die feinen Tücher, Spitzen
und Leder arbeiten Flanderns, seidene und sam-
metne, mit Gold durchwirkte Stoffe ebensowohl
wie die Leinewand Schlesiens, das Zinn Eng-
lands und das Eisen, Pelzwerk, Fischbein, Wachs
u. s. f. Schw edens, die feinsten Specereien und Ge-
webe der Levante und die herrlichen Gläser und Gold-
chmiedearbeitenVenedigs nicht minder als die Felle

Ungarns und Polens. Alles dies wurde in gewal-
tigen Lagerhäusern, in den Zoll- und Waagespeichcrn, von
denen sich noch manche bis auf den heutigen Tag erhalten
haben, aufgestapelt für den Export, um je nach Bedarf
und Nachfrage nach allen Seiten durch ganz Europa ver-
sandt zu werden.

Es kann nicht unsre Absicht sein, das Herabsteigen
Nürnbergs von diesem Kulminationspunkt seiner Blüthe
zu schildern, noch weniger in die Gründe seines bereits
im 16. Jahrhundert beginnenden, seit dem 17. aber rasch
sich vollendenden Verfalls einzugehen: wir haben es eben
mit dem alten blühendenNürnberg im Mittelalter
zu thun, nicht mit dem modernen. Erwähnt aber muß doch
werden, daß dieser Verfall durch zwei der denkwürdigsten
und bedeutungsschwersten Ereignisse hervorgerufen wurde,
welche neben der Luther'schen Resormation und der
Erfindung der Buchdruckerkunst als die Marksteins
zwischen dem Mittelalter und der Neuzeit betrachtet zu wer-
den pflegen, nämlich durch die Auffindung des See-
wegs nachOstindien und durch die En td e ckun g A m e-
rikas, welche beide allmälig das ganze System der Han-
delskommuuikation veränderten und so zu sagen der Han-
delsstadt Nürnberg die Lebensadern abschnitten. Zwar ging
dies langsam von Statten, wie denn gerade in die Zeit
unmittelbar nach Eintritt dieser beiden Ereignisse die größte
Blüthe Nürnbergs fällt, welche die zweite Hälfte des 15.
und die erste des 16. umfaßt. Gegen Ende des letzteren
Jahrhunderts aber wird der nachtheilige Einfluß schon
sehr fühlbar, worauf im 17. die Verheerungen des 30jährigen
Krieges alles Handels- und Kulturleben so gut wie ver-
nichteten. Von einer Einwohnerzahl von mehr als 100,000
Seelen war Nürnberg am Ende dieses unheilvollen Krieges
auf die Hälfte herabgesunken; ein Umstand, der mehr als
alles Andere seinen Verfall bekundet. Den letzten Stoß,
von dem es sich erst in neuester Zeit einigermaaßen zu er-
heben beginnt, erhielt es durch die in Folge der französischen
Revolution entbrannten Kriege, während deren der fran-
zösische Genera! Jourdain während seines 16 tägigen Auf-
enthalts in der Stadt nicht nur eine Kontribution von
1^ Millionen Gulden erhob, sondern auch eine ungeheure
Menge der schönsten und kostbarsten Kunstsachen mit fort-
schleppte. Im Anfang dieses Jahrhunderts war Nürn-
bergs Einwohnerzahl auf 27,000 herabgesunken.

Werfen wir nun, ehe wir zu der eigentlichen Kunst-
production des alten Nürnberg übergehen, noch einen
raschen Ueberblick ans seine Gewerbthätigkeit, welche
sich aus dem Handelsverkehr allmälig entwickelte und niit
ihm sank. Die innige Beziehung, welche zwischen dem
Handel und der Industrie Nürnbergs herrschte, spricht sich
besonders in der ihnen gemeinsamen so zu sagen kosmo-
politischen Vielseitigkeit aus. Außer den dem Tages-
bedürfniß dienenden Gewerben der Bierbrauer, Fleischer,
Müller u. s. f. waren es besonders die Mess er- und Waf-
fenschmiede, die Goldarbeiter, Bildschnitzer, Ei-
sen- und Broncegießer, Schlosser, Klempner,
Tuchscheerer, Färber u. a. m.» durch welche Nürnberg
berühmt war. Selbst im Anfang des 17. Jahrhunderts
gab es noch gegen hundert verschiedene Gewerbe mit fast
3500 Meisterwerkstätten. Es bedarf wohl kaum einer
 
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