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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 10.1865

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https://doi.org/10.11588/diglit.13555#0320

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mageren Figuren allmälig naturwahreren Formen Platz,
die Körper zeigen mehr Fülle und Proportionalität und
auch die Gewandung wird weniger eckig und mamerirt.
Es existirt noch eine große Anzahl von Gemälden aus
dieser Zeit in Nürnberg, so in der Moritzkapelle eine
Reihe von Bildern, die dem Marlin Schön aus Ulm
zugeschrieben werden, sodann in der Loreuzkirche mehre
Tafeln aus der Schule von Schonhofer, namentlich
zeichnet sich darunter das Jmhof'sche Altarwerk, darstellend
„die Krönung Maria's durch Christus", durch Tiefe der
Empfindung aus; desgleichen in der Sebalduskirche der
Haller'sche Altar, dessen Mittelbild „die Kreuzigung Christi"
darstellt; ferner mehre Tafeln in der Frauenkirche, der
Burg u. a. O. Eine besondere Ausbildung erhielt die
Kleinmalerei, namentlich durch das Jlluminiren der
Holzschnitte. Diese Künstler bildeten unter dem Namen
„Kartenmaler" („Briefmaler") und „Jllumiuirer" eine
besondere Zunft und wurden sehr viel beschäftigt. Von
Bildw er ke n sind besonders viele Grabmäler zu erwähnen,
so in der Jakobskirche das „Grabmal des Deutschordens-
ritters Konrad von Eglofstein", desgleichen mehre in der
Moritzkapelle, Spitalkirche, Sebalduskirche u. m. a.

Einen großartigeren Eindruck aber als alle diese Denk-
mäler machte die Stadt im Großen und Ganzen durch die
Schönheit, stilvolle Mannigfaltigkeit und die reiche Orna-
mentik ihrer Privatbauten, d. h. der Straßen, Plätze und
Häuser, welche ohne störende Unterbrechungen durch spä-
tere Anbauten, im Gesammtcharakter den unverfälschten
Typus eines echten Kunstils zeigten, wie er sich aus der
Blüthezeit des Welthandelsverkehrs und der ebenso um-
fassenden Gewerbe- und Kunstthätigkeit mächtig entwickeln
mußte. Die Gunst des Schicksals hat in dem Umstande, daß die
BlüthederKunstüberhauptgerade mit der höchsten Entfaltung
der Macht und des Wohlstandes der Stadt zusammenfiel,
hier vorzugsweise mitgewirkt, um Nürnberg das einheit-
liche Gepräge echt mittelalterlicher Großartigkeit zu ver-
leihen. Die zweite Hälfte des 15ten und die erste des
16ten Jahrhunderts vereinigt in Nürnberg Alles, was
das damalige Leben an Intelligenz, Kunstfertigkeit und
Wohlhabenheit besaß: Architektur, Bildhauerei, Erzguß,
Malerei, Holzschnitt, Kupferstich finden in Nürnberg ihre
berühmtesten Vertreter, ebenso die Wissenschaft und die
Poesie, das Gewerbe und der Handel. Wir brauchen
nur an den gelehrten Willibald Pirkheimer, den
Vertreter echt klassischer Bildung, den Freund des Kaisers
Maximilian und Albrecht Dürers, diese beiden
letzten selbst, an Michael Wolgemuth, den Lehrer
Dürers, an die schon öfter erwähnten Bildner Adam
Krafft, Peter Bischer, VeitVoß, an den Meistersän-
ger Hans Roseuplüt und den biedern Hans Sachs,
an den berühmten Buchdrucker AntonKoburger, welcher
schon zu Dürers Zeit mit 24 Pressen arbeitete, an Jo-
hannes Müller (Regiomontanus), den berühmten Astro-
nomen, dessen Schüler Bernhard Walther die Stel-
lung der Planeten durch trigonometrische Rechnung be-
stimmte und sich bereits zu seinen astronomischen Beobach-
tungen der Räderuhren bediente, an Sebald Schreyer,
den Baumeister der Sebalduskirche, au Martin Be ha im,
welcher, nachdem er bereits 1460 eine der Azoreniuseln

und 1485 Brasilien und die Straße von Patagonien ent-
deckt hatte (Magelhan kam erst 1519, d. h. 13 Jahr nach
Behaims Tode, dahin), den ersten Erdglobus konstruirte,
und viele andere berühmte Namen erinnern, welche alle sich
an Nürnberg knüpfen und alle in die Zeit zwischen 1475 bis
1520 fallen: welche Stadt der damaligen Zeit dürfte
sich in dieser Beziehung mit Nürnberg messen können?

Wir können jedoch alle diese Namen, die mit der Ge-
schichte der Kunst, der Wissenschaften und der Literatur
der damaligen großen Zeit, der Zeit des Uebergangs vom
Mittelalter:zur Neuzeit, der Zeit jenes gewaltigen Um-
schwungs des gesammteu europäischen Kulturlebens, im
innigsten Zusammenhänge stehen, hier nur audeuteud er-
wähnen. Wollten wir selbst von den Künstlern, ihrer
Thätigkeit und ihren Werken — einige davon sind von
uns bereits genannt — nur ein annähernd vollständiges
Charakterbild zeichnen, so würde dies über den Raum und
den Zweck unsrer Aufgabe weit hinausgehen. Wenden
wir uns daher der Stadt selbst und ihrer aus jener gro-
ßen Zeit hervorgeganguen Physiognomie zu. Und hier
ist es denn zunächst das Nürnberger Wohnhaus,
welches unser Interesse iu hohem Maaße beansprucht.

Was den allgemeinen Charakter der nürnberger Wohn-
häuser betrifft, so unterscheidet sich derselbe von dem der
andern Privatbauteu, wie Brunnen, Rathhäusern, Thoren
und Hallen, auf welche von der kirchlichen Baukunst nicht
nur die Grundformen des Stils sondern auch namentlich
zahlreiche Ornamente übertragen wurden, dadurch, daß
dies eben beim Wohnhause nicht der Fall ist. Der Grund
davon mag zum großen Theil in der Bequemlichkeit des
häuslichen und in der Erleichterung des öffentlichen Ver-
kehrs gelegen haben, welcher nicht ein Aufstreben in die
Höhe, sondern eine Ausdehnung in die Breite und Tiefe
erforderte. Ein zweiter, aus dem Bedürfniß sich ergeben-
der Grund lag in der Nothweudigkeit, daß die Bürger
sich zum Schutz gegen die fortwährenden Belästigungen
der „Placker" innerhalb der Mauern halten und daher
den Raum, bei der ununterbrochen wachsenden Berkehrs-
steigerung, möglichst zu benutzen beflissen sein mußten.
Daher enge Gassen, tiefe Häuser mit schmalen Giebel-
fronteu, die sich nach oben zu über die Straße weg noch
mehr näherten, indem jedes Stockwerk über das untere
vorsprang. Rllcksichtlich der Bauformen wandte man den
richtigen Grundsatz au, daß, um einen Eindruck stärkerer
Tragkraft hervorzubringen, die unteren Geschosse mit nie-
drigen Rundbogen und oft mit laubeuartigeu Arkaden
(zur Verbreiterung der Straße) versehen wurden, während
nach oben zu der aufwärtsstrebende Spitzbogen in An-
wendung kam, der den sonst sehr drückenden Ueberbauten
ein leichteres und luftigeres Ansehn verlieh.

Im Allgemeinen war die Zahl der Fachwerkhäuser,
wie das „Dürerhaus", wovon wir diesmal eine Abbildung
geben, überwiegend. Der früher daran befindlich gewesene
Dacherker ist abgenommen, und im Innern waren nur
noch die Küche und ein kleines Zimmer in ihrem früheren
Zustande geblieben, doch hat der Dürerverein, seit dem
Ankauf des Hauses durch die Stadt im Jahre 1826, ver-
sucht, die alte Einrichtung wieder herzustellen, so daß mau
wenigstens einen annährenden Eindruck des Innern er-
 
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