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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 17.1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.13553#0089

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drängt sich das irdische Tageslicht hinzu und deckt gleichsam den
Glanz des Lichtreichs mit der Bläue des Weltäthers, so daß
wir ungeblendet schauen. Daher werden die Gesichtszüge der
himmlischen Heerschaar in den mittleren Schichten des Bildes
deutlicher. Ja, die Hauptgestalten erscheinen in bestimmter Leib-
haftigkeit. Aber körperliche Wesen sind's doch nicht. Denn dse
hohe Frau mit dem Kinde schreitet ohne materielle Schwere auf
lichten Wolken einher; und sowohl der Greis zur Linken als
auch die jugendliche Frau zur Rechten, sie knieen auf wallendem
Wolkengrund. Und so eigenthümlich sind die Gestalten von dem
Himmelsglanz umleuchtet und zugleich von dem weltlichen Tages-
licht angehaucht, daß sie nirgends von sich einen Schatten wahr-
nehmen lassen. Auch perspektivischer Abstand ist wenig bemerk-
bar. Nur wo unteb den Wolken das weltliche Sonnenlicht Ge-
walt hat, da ruhen die beiden geflügelten Knaben fest auf der
Schwelle, gleichwie die päpstliche Krone massiv darauf steht.

Die Gestalten, welche der hohen Frau mit dem Kinde an
beiden Seiten zu Füßen knieen, beweisen durch den auf Beider
Haupte sichtbaren Heiligenschein sowie durch die oberpriesterliche
Bekleidung des Mannes, daß der im Bilde dargestellte Vorgang
dem Gebiete des religiösen, insbesondere des kirchlichen und zwar
katholisch-kirchlichen Lebens angehört. So zweifeln wir auch nicht,
daß in der von den himmlischen Heerschaaren begleiteten und von
ihnen wie mit wunderbarer Glorie umgebenen hohen Frau mit
dem Kinde Diejenige vor uns steht, welche der Engel Gabriel
mit den Worten begrüßte: „Gegrüßet seist Du, Holdselige! Der
Herr ist mit Dir, Du Gebenedeite unter den Weibern. Denn
Du wirst einen Sohn gebären, der wird groß und ein Sohn des
Höchsten genannt werden, des Namen sollst Du Jesus heißen!"

An der einen Seite, dicht an der Schwelle des Himmels-
thors , knieet ein Papst, als erwarte er die Madonna, die aus
dem Innern des Himmels daher schreitet. Er hat seine drei-
fache Krone auf der Schwelle uiedergestellt und die linke Hand,
wie inbrünstig flehend, auf die Brust gelegt, während er mit
der rechten herwärts auf ein bestimmtes Ziel weiset und den
erhobenen Blick frei und groß voll Zuversicht und Bitte zugleich
auf das Antlitz der Madonna gerichtet hält. Die herweisende
Rechte und dieser Blick drücken seine Gedanken aus. Er will
sagen: „siehe, Du gebenedeiete Mutter des Gottessohns, dort ist
das Ziel Deines jetzigen Thuns! Dorthin mußt Du vorwärts
schreiten, um den Rathschluß des Allerhöchsten zur Ausführung
zu bringen."

Und die Madonna schreitet straffen Ganges, in festem,
schleunigem Schritte heran, so daß ihre Gewänder faltig zurück-
wallen und das Kopftuch sich bauschig aufbläst. Aus der Tiefe
des Himmels kommt sie wie im Begriff, die Himmelsöffnung
herwärts zu durchschreiten. Sie blickt geradeaus vor sich hin,
genau in der Richtung, welche der greise Papst mit dem vor-
gestreckteu Arm und Zeigefinger der rechten Hand erkennen läßt.
Aber wie so ernst ist ihr Antlitz! Diese Miene läßt nicht bloß
einen „erhabenen Trübsinn" wahrnehmen, sie ist vielmehr die
Miene eines Menschen, der sich zu einer schwer auszuführendeu
That entschlossen hat und nun diesen Entschluß mit Aufgebot
aller moralischen Kraft in mächtiger Entscheidung zur Ausfüh-
rung bringt. So schreitet die Madonna in imponirender Hoheit
und Herrlichkeit zu uns heran, den Sohn auf dem Arm.

Aber sie trägt diesen Sohn nicht auf dem linken Arm, wie
sonst wohl Mütter oder Wärterinnen zu thun Pflegen. Sie
umfaßt mit ihrem rechten Arm seinen Oberkörper, so daß der-
selbe gegen ihre rechte Schulter lehnt, während sie die linke
Hand den über einander geschlagenen Beinen des Kindes unter-
breitet. Der Körper des Kindes bleibt daher fast wie in der
Schwebe. In solche Lage bringt eine Mutter ihr Kind, wenn
sie dasselbe zur Ruhe auf's Kissen legen will oder es irgend
einem -Andern darzureichen im Begriff ist.

Das Kind seinerseits schauet gleichfalls vor sich hin genau
auf den Punkt, auf den die Madonna, der Handweisuug des
Papstes entsprechend, das Auge gewendet hat. Es lehnt schein-
bar ganz gelassen an der Schulter der Madonna. Allein das
Antlitz zeigt doch einen Ernst, der über das Kindheitsalter
hinausdeutet und die Ahnung aufkommen läßt, daß dieses gleich
der Mutter nach derselben Richtung hin blickende Kind nicht
ohne Bewußtsein sei, es habe an der That, zu welcher die
Mutter vorschreitet, einen wesentlichen Antheil. Gewiß können
Schiller's Worte

„Ihm ruhen noch im Zeitenschooße

Die schwarzen und die heitern Loose;

Der Mutterliebe zarte Sorgen

Bewachen seinen gold'nen Morgen"

gerade ans dieses Kind nicht Anwendung finden. Denn das
Auge desselben ist mit festem, sicherm Blicke herwärts gerichtet.
Die bequeme Haltung oder Lage des kräftigen Körpers ist nicht
bloße Passivität. Die linke Hand zieht den rechten Fuß wie
mit einer gewissen Absichtlichkeit über den andern Schenkel hinauf,
als solle eignes Vorschreiten noch nicht stattfinden, während die
rechte Hand nicht schlaff hernieder hängt, sondern den Saum
des Schleiers fasset, der unterwärts den Körper trägt. Ein
inneres Regen und Leben birgt sich in der scheinbar so ruhigen
Körperhülle; ein Leben, das allerdings zu selbstständigem Thun
bestimmt ist, aber noch des rechten Augenblickes harrt, um
kräftig die Hand auszustrecken und den^Fuß auf den Weg zu
stellen, der zur That führt. Das noch unentwickelte, aber
Großes in Aussicht stellende Kind in den Armen der erhaben
daher schreitenden Mutter! Im Mutterarm der Zukunft-hegende
Sohn! Wie in dem Kerne bereits die Pflanze enthalten ist, so
ist in diesem Kinde schon der ganze, von Göttlichkeit erfüllte
Mensch mit seiner ganzen Zukunft, mit seinen Geschicken und
Thaten vorhanden. Der ewige Gottessohn ist ja von Ewigkeit
her zum Heile der Menschheit bestimmt; folglich ist diese Be-
stimmung mit allen ihren Folgen zugleich in jedem Moment
seines Daseins so wie in jeder Form seiner Erscheinung ge-
geben. Der gläubige Christ erkennt auch in dem Kinde, das
noch in den Armen der Gottesmutter ruht, seinen Erlöser an.

Mit diesem Kinde schreitet die Madonna in die irdische
Welt herein, den Menschen entgegen, welche der irdischen Welt
Bewohner sind. Da sie des Papstes Winken und Bitten Folge
giebt, so können diese Menschen zunächst nur die christlichen Ge-
meinden sein, als deren Oberhaupt der Papst angesehen wird,
sodann aber die Christenheit überhaupt, sofern in derselben, wie
die Kirche voraussetzt, einmal aller Menschen Kinder vereint
sein werden, auf daß da sei ein Hirt und eine Heerde, folglich
die Menschheit aller Orten und Zeiten. Nun- ist ja Christus
 
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