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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 17.1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.13553#0090

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zum Heile der Menschheit verheißen und kommt in die Welt
als Gottes Lamm, das der Welt Sünden trägt und geopfert
wird zur Versöhnung Gottes mit der sündigen Welt. Und so
steigt denn Maria aus dem Himmel hernieder und bringt ihr
Kind, den ewigen Gottessohn, der Menschheit dar als das Opfer
der Versöhnung. Vor dem Bilde steh'n wir, d. h. die Gemeinde
oder die Menschheit, das Opferlamm in Empfang zu nehmen
Zu uns'rer Seligkeit. Wie sollten wir nicht des Schriftworts
gedenken: „Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen ein-
gebornen Sohn gab, aus daß Alle, die an ihn glauben, nicht
verloren werden, sondern das ewige Leben haben!" Wie aber
hätte der Künstler solche Liebe Gottes zu seinen Menschenkindern
ersichtlicher, eindringlicher, plastischer darstellen können als durch
die That einer Mutter, welche den großen Mutterschmerz über-
windet und ihr Kind um seiner erhabenen Bestimmung willen
dahin giebt!

Zum Heile der Menschheit giebt Maria ihren Sohn dahin.
Wer nur an Christum und das in ihm vollbrachte Versöhnungs-
opfer glaubt, der wird vermöge solches Glaubens selig und hat
das ewige Leben. Wie schön hat der Künstler auch diesem Ge-
danken Ausdruck gegeben! Die heilige Barbara, die ihren
Glauben durch ein schweres (vermittelst des neben ihr erschei-
nenden Thurms angedeutetes) Märtyrthum bewährt hat, ist so
gewendet, daß sie uns fast von der Rückseite erscheint, weil sie
nämlich der Tiefe des Bildes, also dem Lichtreiche und dem im
Lichtreiche dargebotenen „ewigen Leben" zustrebt. An ihr geht
die Verheißung des Segens der Opserthat bereits in Erfüllung.
Diese selige Heiterkeit ihres Angesichts beweiset, daß sie sich
dessen bewußt ist.

Indessen richtet sie noch den mild freundlichen Blick mit
herwärts gebogenem Haupte über das Gewölk hinweg auf die
beiden geflügelten Knaben, welche unterhalb der die Madonna
tragenden Wolke in kindlicher Gemüthlichkeit auf der Schwelle
der Himmelsösfnung sich aufgelehnt haben.

Diese überaus lieblichen Knaben erscheinen noch ohne jeg-
liche bewußte Betheiligung an Dem, was über ihnen vorgeht,
und ohne irgend ein Verständniß desselben. Sie gehören nicht zu
jenen himmlischen Heerschaaren, welche die aus dem Lichtreich
hervortretende Madonna begleiten. Ihre derbe Körperlichkeit so

wie ihre Situation vor und unter dem Gewölk, welches die
Himmlische trägt, läßt schließen, daß sie trotz der Flügel dem
Himmel noch nicht angehören. Hat etwa Raphael Aehnliches
gedacht wie späterhin Goethe, der am Schlüsse des Faustgedichts,
während Faust's „Unsterbliches" gen Himmel getragen wird, den
„Chor seliger Knaben" singen läßt:

Sag' uns, Vater, wo wir wallen,

Sag' uns, Guter, wer wir sind?

Glücklich sind wir; allen, allen
Ist das Dasein so gelind.

Unsre beiden Knaben blicken, kindlich sinnend, der heiligen
Barbara nach und zu ihr hinauf. Und Barbara hinwiederum
senkt in ganz genauer Richtung ihren Blick in die Augen der
Knaben und lächelt zu ihnen herab, als wollte sie sagen: „Wartet
nur ab! Wenn ihr dereinst die Fülle des Segens, die über
euern Häuptern schwebt, erkennen werdet und Glauben haltet,
dann werdet ihr mir nachziehen zum ewigen Leben!"

So fügen sich die nach mittelalterlich christlicher Vorstellungs-
weise gebildeten Gestalten zu derselben Handlung einheitlich an
einander: die Mutter Maria bringt unter Vermitt-
lung des Priesters ihren Sohn der Menschheit dar
zur Beseligung Aller, die an ihn glauben. Damit ist
der religiöse Glaube der mittelalterlichen Christenheit vollständig
vor Augen gestellt. Die Sendung Jesu Christi zum Heiland
der Welt hat nämlich ihren Grund in der durch die „Mutter
mit dem Sohn" versinnbildlichten Liebe Gottes; in Betracht
der Art und Weise, wie diese Sendung ihren Einfluß auf
die Menschen gewinnt, wird die Vermittlung der Kirche oder
des Priesterthums als gegeben anerkannt; die Bedingung,
unter welcher sie das Heil der Menschheit bereitet, ist stand-
hafter Glaube, wie solchen Barbara bewiesen hat; ihre Wir-
kung aber zeigt sich in der Erhebung der Seele des Gläubigen
zu ewigem Leben, in das wir die Barbara eingehen sehen und
zu welchem die geflügelten Knaben ermuthigt werden.

Durch solche Darstellung der Sendung des
Heilands in die Welt feiert Raphael den bedeu-
tungsvollsten, entwicklungskräftigsten Moment der
Weltgeschichte, da vermöge des Eintritts des Christen-
thums das Alte vergeht und Alles neu wird.

(Schluß folgt.)

Korrespondenzen.

üsseldorf, Ans. März. (Ausstellungen.) Was bei
einer Kunststadt, d. h. einer Stadt, die in so specifischer
Weise der Kunstproduction sich widmet, wie Düsseldorf,
im höchsten Grade auffallend erscheint, ist die That-
sache, daß sich kein einziges Kunst - Ausstellungs - Lokal
hier befindet, welches hinlänglichen Raum zur Auf-
stellung umfangreicherer Werke darböte. Ich kann daher dem Kor-
respondenten der kölner Zeitung, der diesen Fehler ebenfalls rügt,
nur beistimmen, wenn er bemerkt, daß, wenn auch die Unternehmer
der hiesigen permanenten Ausstellungen thun, was ihre Mittel er-
lauben, um den Anforderungen, die ein Künstler bei Aufstellung
eines kleineren Gemäldes stellen kann, zu genügen, ihnen dieses bei
Aufstellung größerer Historienbilder zu leisten vollkommen unmöglich
ist. Denn ein größeres Historienbild verlangt unbedingt isolirt aus-

gestellt und abgesondert von anderen Dingen betrachtet zu werden, und
dazu eines angemessen großen Raumes, damit der Beschauer gehörig
zurücktreten und ein solches Bild auch in seiner Totalwirkung über-
schauen könne. Wenn daher, wovon schon lange die Rede war, das
Projekt einer Kunsthalle Hierselbst zur Ausführung kommen sollte,
so wäre es sehr zweckmäßig, wenn man gleich bei der Anlage darauf
Rücksicht nähme, diesem Uebelstande durch einen besonders für diesen
Zweck konstruirten Saal abzuhelfen. Dem Mangel eines geeigneten
Ausstellungslokals ist es wohl hauptsächlich zuzuschreiben, wenn die
größere Historienmalerei hier in ausfallender Weise darnieder liegt.
Es liegen Beispiele vor, daß die wenigen hier entstehenden größeren
Werke, namentlich Cartons, dem hiesigen Publikum so gut wie un-
bekannt bleiben, da sie entweder gar nicht oder nur auf kurze Zeit
— und zwar dann in ungewohnten Lokalen — zur Ausstellung ge-
 
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