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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 17.1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.13553#0106

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der Stube eines Bauernhauses, worin ein artiges Mädel mit sitt-
samem Ausdruck am Spinnrade sitzt, während der magere, etwas
recht lang- und dünnbeinige Freier sich in angemessener Entfernung
auf einen Stuhl niedergelassen hat und mit verlegener Miene es
nicht wagen würde, seinem Herzen Luft zu machen, wenn ihn nicht
der danebenstehende Vater oder Onkel Muth einsprache. Bei einer
solchen Scene kommt es vorzugsweise auf den für die gewählte Si-
tuation passenden Ausdruck der beiden Hauptfiguren an, und hierin,
kann man sagen, hat der Maler alle Anforderungen befriedigt und
ist nicht etwa in's Uebertriebene oder Karrikirte gefallen. Dabei ist
das Kolorit sehr ansprechend und die Behandlung dem, Gegenstände
durchaus angemessen.

Von den beiden Bildern Litschauer's, „Der Kavalier" und
„Alle Achtung", spricht besonders letzteres mehr durch seine Auf-
fassung, als durch seine vielleicht allzu einfache Färbung sehr an.
Es führt uns in das Zimmer eines alten, erfahrenen Försters, der
in seinem Lehnstuhl sitzend, respektvoll die Mütze abnimmt vor einem
jungen Burschen, vielleicht seinem ältesten Enkel, der mit dem ersten
geschossenen Fuchs zu ihm hereintritt, aber meines Erachtens über
dieses glückliche Debüt wohl ein triumphirenderes Gesicht machen
könnte. — Breiter und kecker gemalt und dabei trefflich induvidualisirt
ist in dem „Affenbude" betitelten Bilde von Stamme! das alte
Ehepaar, das sich den Eingang zu dieser Sehenswürdigkeit erkauft
hat und jetzt zum ersten Male vor einem der Geschöpfe steht, in
welchem es mit Darwin und Karl Vogt eine große Verwandtschaft
mit dem menschlichen Geschlecht erblickt. Man kann sich nichts ein-
fältig Ehrlicheres denken, als den Ausdruck dieser alten Leute, denen
es beschieden ist, am Abend ihres Lebens noch ein solches Wunder
zu sehen.

Nicht weit davon hängt H. Sonder mann's Bild, nach
dessen verlockendem Titel „Wacht am Rhein" man denken sollte, daß
es uns etwa eine Anzahl von Kriegern vorführt, die als Reprä-
sentanten dieser treuen und festen Wacht in Verbindung mit dem
Rhein oder Deutschlands Grenzen gesetzt sind. Nein, es ist ein
Schulzimmer, in welchem eine Anzahl von Bauernkindern vor ihrem
Schulmeister in Gegenwart des würdigen Herrn Pfarrers ein
wohlgeübtes Lied singen, und dieses Lied, wie konnte es besser be-
titelt werden, als die „Wacht am Rhein". Daß sie während des
Singens auch allerlei kleinen Muthwillen ansüben, ist wohl begreif-
lich. — Einige Ähnlichkeit mit dieser Scene hat die „Vorstellung des
neuen Schullehrers beim Dorfschulzen" von E. Schuback, ein
Stoff, der viel ausdrucksvoller und drastischer dargestellt werden
mußte, wenn er wirken und packen sollte. Der hier nothwendige
Humor fehlt fast ganz, nur die kecke Weise, in welcher sich einzelne
Buben dem schüchtern auftretenden jungen Schulmeister gegenüber-
stellen, ist von einiger Bedeutung. Die drei Hauptpersonen da-
gegen, der alte Schulmeister, der neue, und der Dorfschulze, sagen
wenig.

Der heiteren Seite des Volkslebens pflegt auch H. Wilhelmi
seine Stoffe zu entnehmen, von dessen beiden Bildern ich dieses Mal
nur „Die Strafpredigt" erwähnen will, ein vielleicht zu fein ausgeführ-
tes, aber dabei recht gut charakterisirtes Bild, das uns einen etwa
12jährigen Bauerbnrschen vorführt, der bereits angefangen hat, dem
Laster des Rauchens zu fröhnen. Seine weit ältere Schwester,
oder soll's seine recht jugendliche Mutter sein? hat das corpus
delicti, die kurze Pfeife, erwischt und hält dem kleinen Sünder, dem
übrigens das Rauchen nicht schlecht zu bekommen scheint, eine derbe
Strafpredigt. Zu den in der Ausführung sehr gelungenen Genre-
bildern der Düsseldorfer gehören auch „Die Politiker" des jetzt in
Antwerpen lebenden Charles Webb, zwei gut individualisirte,
kräftig gemalte Männer, bei denen man freilich nach einer besonde-

ren Idee, einem hervortretenden, sprechenden Motive ebenso wenig
suchen muß, wie bei so manchen bloßen Situationsbildern und
Pinselgestalten, die zu weiter nichts dienen, als eine bestimmte
Volksklasse oder eine Beschäftigung zu repräsentiren, wie z. B. alle
die kleinen verlassenen Einzelwesen von Böser, die vortrefflich
gemalt, bald stricken, bald Blumen verkaufen, bald in die Kirche
wandern. Ueber solche ist Böser wenigstens im Genrefache meines
Wissens nur selten hinausgekommen; seine trefflichen Leistungen im
Portraitfache pflegen begreiflicher Weise den Ausstellungen fremd zu
bleiben.

Ganz anderer Art als die Genannten, und als wir ihn selbst
meistens aufbieten sehen, ist diesmal Nordenberg, dessen neues
Bild (1872) „Der verwundete Bärenjäger" uns in eine winterliche
Landschaft versetzt, deren Hauptsache die Menschen- und Thier-
staffage bildet, und eben diese, unter der sich auch die glücklich er-
legte Beute findet, enthält recht ansprechende Motive und ist mit
großer Sorgfalt durchgeführt. — Wie dagegen ein sehr dankbarer
Stoff durch ungeschickte, geistlose Behandlung nicht nur langweilig,
sondern sogar völlig zu nichte gemacht werden kann, möge statt
mancher Beispiele nur eines zeigen: „Die silberne Hochzeit" von
dem, wenn wir nicht irren, in Düsseldorf ausgebildeten Hamburger
Zeppenfeld. Etwas Unbeholfeneres, Gleichgültigeres als dieses
Silberpaar nebst seiner ganzen zur Gratulation sich nähernden Um-
gebung läßt sich schwerlich denken. Und dabei keine Spur von ge-
wandter, irgendwie vollendeter Technik! (Forts, folgt.)

! Breslau, Mitte März. (Permanente Gemälde-Aus-
stellung von Lichtenderg.) Bei der hierorts im Allgemeinen
keineswegs übertriebenen Liebe zur Kunst kann es als ein doppelt
anerkennenswerthes Verdienst bezeichnet werden, daß Hr. Lichtenberg
keine Mühe und Kosten scheut, um in seinem neueingerichteten Aus-
stellungslokal dem Publikum stets Gutes und Interessantes zu bieten.
Für den Berichterstatter der Kunstzeitung ist die kritische Ausbeute
freilich nothwendigerweise eine geringe, da die meisten, namentlich
hervorragenderen, Bilder bereits Ihren Lesern aus den Berichten
über andere Ausstellungen bekannt sind. Das hiesige Publikum
aber kann es dem Unternehmer nur Dank wissen, wenn er — viel-
leicht gerade auf Grund jener Berichte — sich bemüht, ihm die
Kenntniß derselben zu ermöglichen.

Zu diesen Werken gehören unter Anderem Paul Meyer-
Heimes „Heuerndte", Braith's „Weidende Kühe" und Teschen-
dorf's „Gemüsehändlerin", welche bereits in den Berichten über
den berliner Künstlerverein besprochen wurden. Diesen schließen sich
einige andere bemerkenswerthe Gemälde an, zunächst Koller's
(Zürich) „Vieh auf der Alm". Der Vorzug dieses ziemlich umfang-
reichen Bildes besteht in seiner ungeschminkten Naturwahrheit, in
dem gesunden Realismus seiner Ausfassungs- und Darstellungsweise;
Eigenschaften, die bei solcher Art von Motiven ganz am Platze sind.
Von jener poetischen oder gar phantastischen Jnscenirung, womit man
so viele malerische Schilderungen ans den Hochalpen heranszuputzen
pflegt, ist hier ebenso wenig wie von süßlicher Schöngegendmalerei
die Rede. Der vom Wetter gebräunte Hirte, welcher, auf einem
Steinhaufen liegend und sein Pfeifchen gemüthlich schmauchend, die
ihm anvertraute Heerde überwacht, ist eine derbe, dem wirklichen
Leben entnommene Figur. Sehr gelungen ist die Gruppirung und
die lebendige Zeichnung der Thiere, um welche der Hochalpennebel
spielt. — Von Nordenberg (Düsseldorf) ist ein, wenigstens geo-
graphisch genommen, verwandtes Thema behandelt: „Rückkehr zur
Sennhütte". Die Winterstürme sind durch die milde Sommerluft
verweht, ein lachender Himmel breitet sich über die Almen, zu welchen
der Senne mit Frau und Kind, einem derben Buben, hinaufschreitet,
 
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