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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 17.1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.13553#0177

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Zusammenbringung ein ganzes langes Menschenleben erforderte,
in wenig Stunden zerstreut und in viele, ganz fremde, vielleicht
verständnißlose Hände gerathen wird. Wie daher solches Mono-
polisiren des Besitzes, wodurch derselbe dem allgemeinen Verkehr
und Genuß entzogen wird, gerade deshalb sein höchster Genuß,
so ist der höchste Schmerz des Sammlers die Erinnerung daran,
daß er seine Schätze nicht mit in's Grab nehmen, sondern sie
schließlich der Willkür „lachender Erben" überlassen muß. Auch
hierin liegt also eine Ironie, aber sie hat nicht den Charakter
des Humors, wie die des Kunsthändlers gegen den lebenden
Kunstfreund, sondern es ist die Ironie eines Geschicks, welches
nicht ohne tragische Bedeutung erscheint.

Diese durch den Knnstauctionator repräsentirte grausame
Ironie des Schicksals, welches alle solche Specialsammlungen
über Kurz oder Lang trifft, erscheint gleichsam als die Strafe,
welche der Genius der Kunst einer derartigen persönlichen Mo-
nopolisirung auferlegt, indem er damit den thatsächlichen Beweis
führt von der blos zeitlichen Geltung solches, an eine bestiinmte
Person geknüpften Sammelns. Er drückt ihm dadurch den
Stempel einer zufälligen Liebhaberei auf, welche — wenn auch
an sich unschuldig, ja verdienstvoll — doch dem wahren Kultus
der Kunst widerstrebt, weil dieser dadurch zu einer beschränkten
Götzendienerei degradirt wird. Dieser Richtersprnch vollzieht sich
nun eben in dem Akt der Hinrichtung, den der „Auctionator"
an der Sammlung vollstreckt.

Die Ironie, welche in solchem Schicksalsschlage liegt, wirkt
hier — obschon sie nicht mehr den Lebenden trifft, sondern nur
das selber empfindungslose Produkt seines Lebens (und hierin
liegt schon ein versöhnendes Element) — dennoch tragisch; und
diese Tragik zieht sich, wie bemerkt, als eine Art Fatum schon
durch das Leben des Sammlers selbst, denn er weiß, daß jenes
Schicksal seiner Sammlung bevorsteht. Um dem Schmerz dieses
vorgeahnten Geschickes zu entgehen oder ihn doch zu mildern,
bleibt ihm nur ein Mittel, das ihm zwar den Besitz der Samm-
lung nicht sichert, da er sie eben nicht mit in's Grab nehmen
kann, aber diese doch vor der Zersplitterung schützt: Vererbung
der Sammlung an ein öffentliches Kunstinstitut, sei dies nun
ein staatliches, wie die durch den Konsul Wagener begründete
Nationalgallerie in Berlin und das vom Minister v. Lindenau
geschaffene Museum zu Altenburg, oder ein städtisches, wie die
vom Konsul Schletter zu Leipzig und vom Professor Wallraf
zu Köln gestifteten Museen. Indem so die in unveräußerlicher
Zusammengehörigkeit bleibende Sammlung dem allgemeinen Ge-
nuß zugänglich gemacht und dem Allgemeinbesitz übergeben wird,
erscheint auch jener Fluch, der in Gestalt drohender Zersplitterung
auf allen Privatsammlungen ruht, gesühnt und der Genius der
Kunst versöhnt, weil sie nunmehr der Beschränktheit des Mo-
nopols entzogen und als Gemeingut der Nation dem freien
und unselbstsüchtigen Genuß der Gesammtheit zurückgegeben sind.

Dies ist das versöhnende Moment, welches in dem tragi-
schen Schicksal des Sammelns liegt, und im Grunde genommen
muß es für den wahrhaften Kunstfreund zugleich ein erhebendes
sein, durch den Gedanken nämlich, daß auf diese Weise die Früchte
seiner Thätigkeit zuletzt einem unvergänglichen, wahrhaft allge-
mein-menschlichen Zwecke dienen.

Alle bisher betrachteten typischen Standpunkte tragen, trotz
der allerdings mehr und mehr hervortretenden und das Urtheil
modificirenden Reflexion, die beim Sammler und Knnstauctionator
in der Katalogisirung sogar bis zu einem Anlauf zu geschicht-
licher, immerhin aber durch das partikulare Interesse bestimmter
Darstellung des Inhalts sich erhebt, dennoch den Charakter des
Empfindungsurtheils, das durch die Reflexion, weil sie eben auf
partikularem Interesse beruht, nur grtrübt erscheint. Das jeder
Typus seinerseits wieder eine Menge Schattirungen zuläßt, ist
bereits erwähnt, und obgleich ihre Differenzen zum Theil sehr
bedeutend sind, z. B. zwischen dem Sammler von alten Ge-
mälden und dem von neueren, zwischen dem Kunsthändler, welcher
Kupferstiche verlegt, und dem Bilderhändler, zwischen diesem und
dem Händler mit Antiquitäten u. s. f. — so kann auf diese
Specialitäten doch hier, wo es eben nur auf das Typische an-
kommen kann, nicht näher eingegangen werden. Nun giebt es
aber außer diesen Typen noch andere Standpunkte, welche, wie
es scheint, sich dem allgemeinen des Empfindungsurtheils unter-
ordnen lassen dürften, z. B. der des Dilettanten, des Kunst-
Referenten, des Kunstlehrers u. s. f. Was die beiden
letzteren betrifft, so gehören sie indeß bereits einer andern Reihe
an. Der „Kunstreferent" ist wesentlich Kritiker, und obschon es
mit der Berichterstattung über Kunstwerke, namentlich in der ge-
wöhnlichen Tagespresse, traurig genug bestellt ist, da den wenig-
sten Referenten die nöthige ästhetische Vorbildung innewohnt und
sie sich daher meist auf den Standpunkt des Empfindungsurtheils
stellen, so ist dies doch ein subjektiver Mangel, der mit dem
Begriff als solchem nicht nothwendig verbunden ist. Hinsichtlich
des „Kuustlehrers" sind natürlich diejenigen Lehrer von vorn-
herein von dem Standpunkt des Empfindungsurtheils auszu-
schließen, welche das Gebiet der Kunst wissenschaftlich behan-
deln, also z. B. an den Universitäten und den Akademien über
Aesthetik, Kunstgeschichte, Mythologie, Kostümknnde u. s. f. lesen;
ferner auch diejenigen, zwar meist dem praktischen Künstlerstande
angehörigen Lehrer, welche die an sich wissenschaftliche Seite der
Kunst zum Gegenstände ihres Lehrens machen, z. B. Perspektive,
Optik, Anatomie, Proportionslehre u. s. f. vortragen. Dagegen
scheint es, daß solche akademischen Lehrer, welche die praktischen
Seiten der Kunst behandeln, also Unterricht im Zeichnen, Malen,
Modelliren n. s. f. geben, wohl hierhergezogen werden könnten,
sofern die Art und Weise solches Unterrichts wesentlich in der
Einwirkung auf die Empfindung der Schüler für Form und
Farbe beruht. Dennoch sind auch sie anszuschließen, weil, was
wirklich Lehrhaftes in der Methode liegt, dennoch wesentlich der
Reflexion angehört, was dagegen instinktiv darin wirkt, dem
Lehrer als „Künstler" zuzumessen ist, und zwar als schaffendem,
nicht als urtheilendem Künstler.

Anders verhält sich die Sache mit dem Dilettanten.
Er hätte füglich in die obige Reihe als besondere Gattung des
Kunstfreundes eingeschoben werden können, so daß als der nächste
Gegensatz im Begriff des Kunstfreundes der des „Dilettanten"
und des „Kunstliebhabers"*) aufzustellen gewesen wäre, wonach

*) Das Wort „Dilettant" bezeichnet eigentlich bekanntlich im Italienischen
ebenfalls Liebhaberei, aber im praktischen Sinne; so sagt man z. B.
ällsttarai del canto in dem Sinne des sich Ergötzens durch Gesang, nicht
am Gesänge, nämlich indem man selber singt, nicht blos singen hört.
 
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