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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 17.1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.13553#0179

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Der alte Ganghofer aber meint, es sei ihm auch nicht besser
ergangen,

Und hätten damals schon die Zeitungen grassirt,

Die Kritik hält' mich auch in jedem Blatt verschmiert.

Drum lassen wir sie schrei'n die Kerls wie heisre Raben,

Denn endlich triumphirt, was wir geschaffen haben.

Am Schlüsse der Scene überreichte der Alterspräsident Bild-
hauer Schoenlaub dem gefeierten Meister den wohlverdienten Lorbeer
und ein vom Maler Grünewald künstlerisch aus geführtes, mit zahl-
reichen Unterschriften bedecktes Ehrendiplom.

Ich sah wenige Feste, die den Charakter vollkommenster Herzlich-
keit so an sich trugen wie das besprochene. Aber abgesehen davon
glaube ich hoffen zu dürfen, daß es der Ausgangspunkt zu einer
engeren Wiedervereinigung der Künstler unter sich werde. Die zu
erbauende Jndustriehalle mag derselben seinerzeit trefflich zu statten
kommen.

8. Wien, Mitte Mai. (Große Jahres-Ausstellung im
Künstlerhause. Fortsetzung.) Wir wollen Wort halten und auf
bereits früher Angedeutetes zurückkommen. Bevor wir jedoch Einzelne,
der sogenannten „jüngsten Schule" in Wien besprechen, wollen wir
diese selbst übersichtlich kennzeichnen. Es wäre sogar ein Fehler,
Einzelnen aufzubürden, was eine Gattung trifft. Mit absonderlicher
Schlauheit wird z. B. Mackart zur „jüngsten Schule" gezählt.
Nicht so, ihr Herren in Wien! Mackart hat gar nichts mit der
hiesigen Schule zu thun. Seine Eigenheit ist so selbstständig außer
dem Kreise und neben dem Kreise ganz anderswo emporgewachsen,
daß nur der Zufall der Geburt innerhalb der österreichischen Grenzen
irgend einen Zusammenhang giebt. Die nun hier nachbarliche Ge-
nialität hat allerdings zur Folge gehabt, daß eine Menge kleiner
Leutchen ebenfalls „genial" sein wollte, und das ist das Schicksal
jeder ungewöhnlichen Kraft, neben dem Guten viel Schlimmes her-
vorzurufen. Seit Mackart glaubt jeder akademische Schüler, jung
sein wäre schon ein Vorrecht und ein Anrecht zur Anerkennung, und
um zu Ruhm und Glanz zu gelangen, müsse man alles Frühere
gering schätzen, noch mehr aber sich eine „eigenthümliche Farbe
und Behandlung" aussuchen. Wie Fabriken gewisse Muster und
Farben zu ihrer Gewerbsspecialität erheben, so jetzt „jüngste Schule"!
Da aber das Künstlerlexikon nicht arm ist an Leuten, welche schon
einige Jahre vor den neuesten Mustern gearbeitet und zwar so ziem-
lich einige leidliche Bilder — — da ferner die Natur, diese Dame,
welche auch nicht erst vor wenigen Jahren in die Welt trat, so ka-
priciös ist, sich nicht zu ändern und zu bleiben wie sie schon eine
kleine Zeit existirt — so kommen die seltsamsten Muster und Bilder
der neuen Farbenweltbeglücker zu Stande! —

Der Jrrthum, welcher junge Leute früh überalt werden ließ,
welcher Talente auf Ab- und Irrwege verführte, bestand darin, daß
sie ihre Bilder rascher und besser verkauften, als es jemals bei
Anfängern vorkam. Das aber lag nicht in ihnen, sondern — und
dies muß nothwendig erkannt werden — in der Zeit. Nie zuvor
waren in Wien so viele und große Wände, so zahlreiche Wohn-
räume mit Bildern zu bedecken; nie zuvor war so vieles Geld plötz-
lich flüssig geworden, wie jüngst in der neuen Actienzeit; nie zuvor
waren alle Werthe so plötzlich und unverhältnißmäßig gestiegen; nie

zuvor kam neben dem blasirten noch der ungeschulte Geschmack: der
Mann, welcher weder zuvor etwas besaß, noch eine Idee von Kunst
oder ein Kunsturtheil hatte, mußte plötzlich Bilder, Kunstwerke kaufen
und sich mit dem modernen Luxus umgeben! Hinc illae lacrimae!

Eine weitere Ausführung müßte zu Persönlichem gelangen,
welches unsren Absichten ferne liegt. Genug: das Individuum identi-
ficirte sich mit der Zeit und darin liegt der Jrrthum! Statt zu
lernen und fortzuschreiten, gelangte man in's Fabriciren; statt sich der
Kunst zu weihen, weihete man sich dem Kunsthandel; statt Gediegenes
zu wollen, erstrebte man Augenauffälliges, sogenannte „Kuriositäten",
und taumelte in Extremen herum. — Die Gelegenheit, weniger zu
lernen als vormals, ist durch einen Zusammenfluß vieler Ursachen
an unserer Akademie heute gegeben, und deshalb springt die Jugend
rascher über die Barre des Lernens und Maaßhaltens als früher
und bewahrt weniger die Pietät gegen die Meister und ihren ernsten,
wohlthuenden Rath.

Das zu reichhaltige Thema muß abgebrochen werden. Wir
sind an der Grenze des „Genres" in unserer Uebersicht angelangt
und dort, wo es sich mit der Landschaft kreuzt oder bindet. . An
dieser Grenze finden wir seltsamerweise zweimal den Namen Ruß,
die Brüder Franz und Robert. Was sie heute malen, ist
Mauerwerk, Grün der Pflanzen und Bäume, dabei Menschen.
Man weiß nicht, soll a oder b oder c die Hauptsache sein. Meinet-
halben Alles im Gemenge, wenn man es leisten kann. Der ältere
Robert Ruß fing mit Landschaft an, ging dann zu Mauern über,
hat jetzt die beiden vereinigt und die Menschen noch hinzugethan.
Als Robert Ruß noch vor wenigen Jahren Akademiker der Land-
schaftsschule unter guter strenger Leitung war, malte er vorzüglich
und viele Hoffnung Erweckendes. Ein Nadelholzbild aus früherer
Zeit, das jüngst im Kunstverein wieder zum Vorschein kam, steht
durch Zeichnung, Fleiß, Farbe, Wahrheit hoch über Allem, was er
jetzt vorbringt. Heute reihet er Zinnoberroth neben Helles Orange
und Arsenikgrün oder Ultramarinblau, heute zerreißt und zerbröckelt
er jedes, was harmonisch ganz sein soll, durch nebeneinaudergelegte,
unvermittelte grelle Farben. Die Menschengestalten sind nicht ge-
gliedert und gezeichnet, sondern nur Schattenerscheinungen, wie man
sie aus weiter Ferne sieht, nämlich nur in der Zeichnung, keineswegs
in der Farbe, die überstark ist. Die Mauern und Bogen werden vorne
dunkel gemacht und hintendurch mit Schlaglichtern versehen: Wir-
kungen und Farbenwitze, welche schon die ältesten Dekorationsmaler
häusigst, ja schablonenmäßig anwendeten. Sie machen noch heute-
auf dem Theater Baumlichter, Gründe, Blumen eben so stark und
grell wie auf diesen Bildern, welche doch Stafseleibilder sind. Und,
seltsamerweise, Franz Ruß gleichfalls: seine Arbeiten, früher sorg-
licheres Genre, sind kaum von denen des Bruders zu unterscheiden.
Es müssen also die Muster leicht sein und etwas haben, das man
rasch ergreifen kann. Entweder Einer ist hinauf- oder Einer
hinabgestiegen. Wir detailliren dies, weil wir hier bei einer Art
Vorbild angelangt find, weil wir Talent auf Abwegen wahrhaft
bedauern und es uns um die heimischen Künstler zu thun sein muß,
wollen wir vor dem edleren Geschmack, Kunstsinne und Urtheile
Angesichts von Düsseldorf, Karlsruhe, München u. s. w. nicht mit:
unserer Neuzeit ganz hinabsinken. (Forts, folgt.)
 
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