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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 5.1899

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Heft 3 (Dezember)
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Osborn, Max: Walter Leistikow
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https://doi.org/10.11588/diglit.6697#0140

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Valter Ieistikow.

Per Künstler, dem diese Blätter ge-
I widmet sind, stellt dem kritischen
Betrachter ein ungewöhnliches und
interessantes Problem. Er zählt
trotz seiner Jugend zu den wenigen Malern
des heutigen Deutschland, die sich rühmen
dürfen, einen persönlichen Stil zu besitzen,
eine eigene Handschrift, die Niemand mit
ihnen theilt, und an der man die Werke
ihres Pinsels mit Sicherheit von fernher schon
erkennt, wie den Brief eines lieben Freundes
beim ersten flüchtigen Blick auf die Adresse.
Er steht vor uns als eine festumrissene
Individualität von karakteristischem Gepräge.
Der Name Leistikow bedeutet etwas, nicht
allein für den Kenner, sondern auch für das
weitere Publikum, und der Klang seiner
Silben rückt mit einem Schlage einen Kreis
von ganz bestimmten Vorstellungen vor unser
Auge. Gewiss, dieser Künstler gehört nicht
in die stolze Reihe der souveränen »Eigenen«,
die ihre Persönlichkeit mit selbstverständlichem
Siegerlächeln aus der Kraft ihres Genies
entwickelt haben. Er ist keine eigenwillige
Trotznatur, die selbständig neue Pfade frei-

gelegt, undjfkein kühner Entdecker, der wag-
halsig in gefährlicher Fahrt unbekannte Län-
der erschlossen hat, sondern durchaus ein Ab-
hängiger, dessen Weg von der Gewalt der
Aussenmächte bestimmt ist. Aber die Form
dieser Abhängigkeit, die Art, wie er den
Einfluss der Aussenmächte in sich aufge-
nommen und verarbeitet hat, ist so originell
und persönlich, dass sein Werk doch wieder
den Zauber des Ursprünglichen besitzt. Sie
hebt ihn hoch empor über die Masse der
Tausende, die einen ähnlichen Ausgangspunkt
genommen, und stellt ihn, wenn nicht in die
Gruppe der auserwählten Führer und Feld-
herren, so doch in die kleine erlesene Schaar
der berufenen Elitetruppe, die nicht minder
wie die Offiziere der Stolz der Nation ist.
Leistikow's Malerei ist im Grunde ein Pro-
dukt von Anregungen; doch das Quantum
schöpferischer Fähigkeit in ihm ist gross
genug, um uns diesen Prozess vergessen und
seine Kunst völlig als ein organisch Ge-
wordenes erscheinen zu lassen. Leistikow
hat von allen Wandlungen des modernen
Geschmacks Kunde gegeben, aber er that

1900. III. 1.
 
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