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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 33.1913-1914

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Mell, Max: Stickereien von Melitta Löffler - Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.7011#0503

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STICKEREIEN VON MELITTA LÖFFLER-WIEN.

VON MAX MELL.

Es ist alles ganz grobe Wolle", sagt eine
Frau, die mit neugierig-kundigem Blick
die Arbeiten von Melitta Löffler mustert: über
den Ausstellungsraum hinüber leuchtet aus ihrem
Schrank das volle Orange, das stechende Rot,
das dumpfe Grün der seidenen Fonds und die
ganze buntverschränkte Stickereiwelt! und hat
diese Frau hingezogen und noch eine Frau und
mich und noch ein halberwachsenes Mädchen
mit den schönsten stahlblauen Augen voller
Gesundheit und Kraft. „Es muß ganz leicht
sein", sagt die zweite Frau. „Man muß halt
wissen, was man will", sagt das Mädchen und
schaut ganz gierig darauf.

Ja, es ist alles ganz grobe Wolle; da liegen
die Fäden nebeneinander, man kann an Stroh
denken in ländlichen Sesseln. Und es liegen
die Farben nebeneinander, so unbekümmert
lebhaft als es bei grober Wolle nur sein kann
oder in Gärten auf dem Lande. Da zeigen sie
das Zickzack auf panaschierten Blättern, zeigen
die üppigfarbigen Rundungen, eine in der an-
dern, von glühenden großen Blumen, spitze
Tulpenblätter wie steife Flammen und kleine
einfache Edelweißsterne, und so irgend ein
Schmuckwesen, halb Vogel, halb Blume, mitten
darin, wie der Paradiesvogel oder der Kakadu,
alles hat aber eine wilde Ranke, ehe sie sich
selbst zu einem Schnörkel auszuziehen ent-
schließt, sauber in Ordnung gebracht, die großen
Augen mit bunter Rundung da und dorthin ver-
teilt, daß keines das andere beeinträchtigt.

Oder auf dem einen Polster sitzt ein Stieglitz
mitten drin. Es muß ganz leicht sein, wenig-
stens den Schnabel, den muß jedes Kind aus-
nähen können: einfach zwei schwarze Fäden,
die vom Köpfchen einen spitzen Winkel öffnen!
Schwieriger muß schon der Hirsch sein, der
muß zuerst fein entworfen werden, daß man
die silbernen Fäden nachzieht, denn Er ist es
natürlich, der weiße Hirsch, wenn wir einen
auf einem Polster ausgenäht haben wollen. Die
kreisrunden Flecken auf seinem Fell muß wie-
der jedes treffen; dafür braucht dann das Ge-
weih aus hellgelben Fäden mehr Kunst, und es
sieht so dick aus, wie von einem Elch, oder
wie die ganz dick beschneiten Äste von einem
nackten Baum. Und bis man wohl erst darauf
kommt, wie man das zeigt, daß der Hirsch auch
im Walde ist. Das wird entweder herzlich lang
dauern oder man hats im Augenblick: die es
hier ausgenäht hat, Frau Melitta Löffler, wird
es wohl im Augenblick gehabt haben. Das ist
ein gar zu reizender Schwung, wie ein einziger
tiefvioletter Faden so einen Tannenast bezeich-
net, und wie hinter dem Hirsch auch noch die
kleinen Bäumchen stehen! Das ist fast so ge-
zeichnet wie man es von primitiven Völkern
her kennt, oder hoch im Norden von dem
Lappländer Johannes Turi, der das Wesen
seines Volkes aufgeschrieben hat. Aber nicht
als ob das so einer einfachen Zeichnung nach-
gemacht wäre; vielmehr die Wolle ist so, sie
ist eigensinnig wie jedes Material, es will nur

1914. VI. 8.

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