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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 36.1915

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Weichardt, Carl: Die Erziehung zur Kunst nach dem Kriege
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https://doi.org/10.11588/diglit.8676#0223

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Die Erziehung zur Kunst nach dem Kriege.

PROFESSOR FRANZ SEECK—BERLIN.

LANDHAUS HAUPTNER. »BLICK INS HERRENZIMMER«

Hohle oder Gespreizte abzulehnen, wo immer
es ihnen begegnet. Man muß etwa im Theater
auf die ganz naiven Äußerungen unserer ver-
wundeten Feldgrauen lauschen; sie lachen viel-
leicht, wo wir uns nur innerlich freuen, aber
sie bringen auch ein merkwürdig sicheres Ge-
fühl dafür mit, wenn sich auf der Szene falsches
Pathos, unehrliche Töne, künstlich gesteigerte
Leidenschaften breit machen, — und sie lachen
dann erst recht. Der Gebildete aber, der die
schweren Prüfungen dieses grausamsten Krieges
durchlebt hat, tritt heute schon mit einem Ernst
an die Kunst heran, dem nur die reine Gestal-
tung tiefsten Fühlens und Erlebens noch ge-
nügen kann. Er hat für allen Mummenschanz
absonderlicher Spielereien ohne innere Not-
Wendigkeit nur ein mitleidiges Achselzucken.
Dennoch weiß gerade der Gebildete, daß es

auf die Dauer nicht möglich ist, jeglicher Kunst-
erziehung zu entraten. Wer nicht sein ganzes
Leben und Schaffen den Künsten widmen, nicht
durch die Kunst sich erziehen lassen kann,
wird immer wieder der Erziehung zur Kunst
bedürfen. Alle Weiterbildung des ästhetischen
Urteils, alle Verfeinerung der Fähigkeit künst-
lerischen Genießens setzt ja die fortwährende
Berührung mit dem Kunstschaffen der Zeit, ein
stetes Vergleichen, Wägen und Werten und die
Schulung der Sinne durch immer neues Sehen
und Hören voraus. Aber die große Mehrheit
unter uns hat anderes zu tun, in Zukunft wohl
mehr noch als zuvor. Da werden uns dann be-
rufene Führer zur Kunst erst recht willkommen
sein, Führer, die über Niederungen hinweg den
Blick auf die großen Richtlinien und die Gipfel
lenken und beschwerliche Irrwege uns ersparen.
 
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