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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 36.1915

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Weichardt, Carl: Die Erziehung zur Kunst nach dem Kriege
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https://doi.org/10.11588/diglit.8676#0224

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Die Erziehung zur Kunst nach dem Kriege.

PROFESSOR FRANZ SEECK BERLIN. LANDHAUS HAUPTNER. »RÖMISCHER GARTEN«

Das erschütternde Erlebnis dieses Krieges
wird natürlich auch in den Seelen der Daheim-
gebliebenen lange seine Spuren zurücklassen.
Doch es hieße zuviel vom Kriege erwarten,
wollte man annehmen, jeder einzelne bei uns
daheim würde im Kern seines Wesens mit dem
gleichen eisernen Ernst, derselben goldenen
Reife begnadet werden, deren Weihe denen
da draußen in Kampfessturm und Todesdrohen
zuteil wird. Ich kenne prächtige Leute, die dem
Vaterlande tüchtige Söhne erziehen und als
erste ihre Fahne herausstecken, wenn neue
Siegeskunde durch die Straßen fliegt; aber um
ihrer Freude erst den vollen Ausdruck zu geben,
setzen sie sich ans Marterinstrument und klim-
pern zum tausendsten Male einen trostlosen
Gassenhauer. Eine neue Heldengestalt ist uns
im Osten erstanden, wie geschaffen, alles Starke
und Stolz - Gelassene deutscher Art zu ver-
körpern; aber wie wird Hindenburgs Bild von
einer geschäftigen Kunstindustrie mißbraucht
und allem und jedem aufgeprägt! Welch ein
Mißbrauch wird auch mit der kunstindustriellen
Ausbeutung des Motivs der 42 cm-Mörser oder

des Eisernen Kreuzes getrieben! Schon die an
sich so erfreuliche „Kriegsmesse", die Leipziger
Musterlagermesse dieses Frühjahrs, ließ er-
kennen, daß gerade im Massenartikel, und im
patriotischen ganz besonders, die Geschmack-
und Gedankenlosigkeit noch immer den Markt
beherrscht. Wenn es bei uns noch möglich ist,
daß 42cm-Geschützeihre Gestaltfür— Blumen-
vasen herleihen müssen, welchselbige Blumen-
vasen dazu mit einem Hindenburg-Bildnis und
etlichen eisernen Kreuzen geschmückt sind,
dann sagt man sich: trotz des Krieges darf
keinen Tag lang die Kunsterziehung aussetzen.

Sie darf es auch aus wirtschaftlichen Gründen
schon nicht. Wenn wir nach dem Kriege den
Weltmarkt behalten oder zurückerobern wollen,
wird sich die deutsche Industrie zielbewußter
noch als vordem zur Qualitätsware bekennen
müssen. Unsere Waren sind durchweg billiger
und solider zugleich als die des feindlichen
Auslandes; sie sollten ohne Ausnahme auch
durch die Schönheit ihrer Form zum Kaufen
verlocken und unmerklich durch den deutschen
Stil für das deutsche Wesen werben. Dank der

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