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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 36.1915

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Jaumann, Anton: Gestalten und Schildern
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https://doi.org/10.11588/diglit.8676#0297

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Gestalten und Schildern.

MAR1ETTA PACHHOFER-KARNV WIEN.

OVALE DEKORATION. »FEDERZEICHNUNG«

zum Bewußtsein erwachte
Mensch von jeher erbittert
gewehrt. Er wollte selbst-
herrlich und frei sein, sich
herausheben aus der Welt,
sich behaupten als unab-
hängige, eigene Macht.
Doch keine philosophische
Spekulation vermochte uns
zu retten. Es gibt nur eine
vollständige Befreiung von
der fremden Welt, das ist
der Tod. — Die Sonne, die
das Auge des Menschen er-
weckte, hat es für Licht,
Farbe, Form empfänglich
gemacht. So haben sich alle
Sinne ganz nach den Er-
scheinungen und Kräften
gebildet, die auf sie ein-
geflutet sind. Selbst der
denkende Geist erwachte
und wuchs nur im Rahmen
und in dem Geleise dessen,
was durch die Sinne von
außen an ihn herantrat.
Ohne Sinnenmaterial keine
Vorstellungen, ohne Ge-
setze in der Erscheinungs-
welt keine Denkgesetze.
— Trotzdem, und hier ist
die Wurzel des tragischen
Kampfes, können wir uns
nicht eins fühlen mit der
Außenwelt, so wenig wir

M. PACHHOFER-KARNY. »LINOLEUMSCHNITT«

uns von ihr befreien kön-
nen. Über die kaum geöff-
neten Augen kommt bald
ein Hungern nach neuen
Reizen, die Sinne alle for-
dern Wechsel, Steigerung,
Einklang der Eindrücke.
Aber die Welt geht ihren
Gang und kümmert sich
nicht im geringsten um die
fiebernden Menschensinne.
Der Geist, einmal ange-
stoßen, zu denken, sucht
weiter nach Gesetzen, wo
Chaos, nach Sinn, wo kei-
ner ist, nach Entwicklung,
wo Tod ist. Ein schreien-
der Zwiespalt tut sich auf

— zwischen dem Wollen
der sinnlich-geistigen Per-
sönlichkeit und dem star-
ren Felsen Wirklichkeit, an
den sie gekettet ist, von
dem sie Leben empfing.

— Über diesem Abgrund
erwachte der Wunsch, der
so alt ist, wie das Men-
schergeschlecht selbst, der
Wunsch, die Umwelt zu
beeinflussen, zu gestalten.
Sie soll so werden, wie
es der Geist verlangt, wie
es den Sinnen angenehm
ist. Seit Beginn seines Ein-
tretens in die Geschichte

XVIII. Juli 1915. 6
 
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