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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 38.1916

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Heimann, Moritz: Renée Sintenis
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https://doi.org/10.11588/diglit.8538#0207

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Rene'e Sintenis.

mit der sichtbaren Kraft. Zwar ist Stil etwas, was
der Künstler suchen muß und was jeder, auch der
größte, zuweilen verliert; was er aber nur suchen
kann, wenn er es in seinem Blut, in seiner Natur
von Haus aus mitbekommen hat. Renee Sintenis
hat diese Gabe, die eine Gnade ist. Sie hat
eine der feinsten Bekundungen des Stils, den
Takt. In einer Zeit, wo gerade die bildenden
Künste daran leiden und sich daran steigern,
daß sie zu viel und zu Wesentliches von sich
selbst wissen, ist die Gefahr vorhanden, daß
die Kunst zu abstrakt, in einem verstockten
und gefährlichen Sinn zu zwecklos wird. Darum
ist es ein Zeichen eines sicheren Gefühls und
einer feinen Redlichkeit, daß Fräulein Sintenis
kleine Figuren macht, obgleich ihre Formen-
anschauung nicht klein ist. Man kann diese
Fi guren vor sich auf den Tisch stellen, man
kann sie in die Hand nehmen, man kann sich
daran freuen, sie haben einen Zweck. (Denn
die Plastik wieder in den Dienst der Architek-
tur zu stellen, ist trotz vieler achtungswerter
Versuche noch nicht geglückt; die einen ver-

fallen in die bloße Dekoration, die andern
sprengen immer noch die Architektur.)

Stil und Form aber sind nicht das Letzte,
wohin der Künstler vorzudringen hat; dahinter
erst liegt das Wesen. Das Wesen, als welches
jedem nach der Maßgabe seines Talents zu-
gänglich ist. Jeder Künstler wird erst dort zur
tiefen Sättigung gelangen, wo Expression und
Impression, Stil und Natur — nicht etwa bei
dennoch zurückgehaltener Feindlichkeit Kom-
promisse mit einander schließen, sondern ein-
unddasselbe sind und sagen. Es ist eine Freude
zu sehen, wie Fräulein Sintenis auf diesem
Wege ist. Betrachtet man das kleine, auf die
Knie gefallene Reh, so sieht man, obgleich es
unmittelbar nach einem Natureindruck gearbei-
tet ist, daß es doch in ein Quadrat, also in eine
vorgefaßte Anschauung hineinkomponiert ist.
Dahingegen ist das kleine Fohlen Wesen: steht
da, reizend unproportioniert, mit der kecken,
dummen, stutzigen, naseweisen Kopfbewegung
und wird nach einem Seitensprung mit befrie-
digten, langen, würdigen, die Erwachsenheit

RENEE SINTENIS-
BERLIN.
KLEINPLASTIK
»JUNGES REH«
 
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