DOI Artikel:
Scheffers, Otto: Kinema und Kunstverständnis
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.8538#0302
Kinema und Kunstverständnis,
GESTICKT. KLEIDCHEN. ZENTRAL-LEHRANSTALT, WIEN.
Ohne mich in eine Widerlegung dieses
Stimmungsergusses einzulassen, will ich nur
auf folgendes hinweisen: Es gibt kaum ein
Mittel, das noch besser das Verständnis für
Perspektive und für die Bedeutung der Massen-
verteilung im Bildraum zu entwickeln ver-
möchte, als das bewegliche Lichtbild.
Nirgends drängt sich dem Laien anschau-
licher als hier, wo eine konstante Umrahmung
das Maß für Größenvergleichungen abgibt und
wo das Abschätzen durch die Flächenhaftig-
keit des Bildes so außerordentlich erleichtert
wird, das Größer- und Kleinerwerden von
Dingen auf, die sich uns nähern oder sich von
uns entfernen. Wie kräftig wirkt nicht auf
unsere Stimmung das perspektivische An-
wachsen des herannahenden Eisenbahnzuges,
den man förmlich brausen hört, und das ja-
gende Auto, und wie gewinnt ein Bild mehr
und mehr an Tiefe, wenn sich auf dem nach
hinten zu hinschlängelnden Weg menschliche
Gestalten oder Tiere bewegen \ Welch ein
Reiz liegt nicht in der Perspektive wogender
Wellen, fliehenden Wildes. Es handelt sich in all
diesen Fällen um vorwiegend perspektivische Reize,
wie sie uns in der freien Natur auch nicht annähernd
so deutlich, meist gar nicht, zum Bewußtsein kommen.
Dazu gesellt sich der eigentümliche Reiz, den die
Verschiebung der Massenverteilung auslöst. Nie-
mand kann sich dem Stimmungswechsel entziehen,
der vom Bilde ausgeht, wenn die hellen und dunklen
Massen, die senkrechten, wagrechten und schrägen
Linien sich innerhalb des Rahmens bald so, bald so
einstellen. Viel deutlicher als in der Wirklichkeit
zeigt sich im Lichtbilde auch, von welchem Einfluß
die sogenannte Überschneidung auf Klarheit und
Schönheit der Darstellung ist. Man sieht das über-
all, wo Menschen, Tiere und bewegliche Gegen-
stände sich gegeneinander verschieben und sich
TUCHKLEIDCHEN U. HÄUBCHEN MIT BUNTER WOLLSTICKEREI.
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GESTICKT. KLEIDCHEN. ZENTRAL-LEHRANSTALT, WIEN.
Ohne mich in eine Widerlegung dieses
Stimmungsergusses einzulassen, will ich nur
auf folgendes hinweisen: Es gibt kaum ein
Mittel, das noch besser das Verständnis für
Perspektive und für die Bedeutung der Massen-
verteilung im Bildraum zu entwickeln ver-
möchte, als das bewegliche Lichtbild.
Nirgends drängt sich dem Laien anschau-
licher als hier, wo eine konstante Umrahmung
das Maß für Größenvergleichungen abgibt und
wo das Abschätzen durch die Flächenhaftig-
keit des Bildes so außerordentlich erleichtert
wird, das Größer- und Kleinerwerden von
Dingen auf, die sich uns nähern oder sich von
uns entfernen. Wie kräftig wirkt nicht auf
unsere Stimmung das perspektivische An-
wachsen des herannahenden Eisenbahnzuges,
den man förmlich brausen hört, und das ja-
gende Auto, und wie gewinnt ein Bild mehr
und mehr an Tiefe, wenn sich auf dem nach
hinten zu hinschlängelnden Weg menschliche
Gestalten oder Tiere bewegen \ Welch ein
Reiz liegt nicht in der Perspektive wogender
Wellen, fliehenden Wildes. Es handelt sich in all
diesen Fällen um vorwiegend perspektivische Reize,
wie sie uns in der freien Natur auch nicht annähernd
so deutlich, meist gar nicht, zum Bewußtsein kommen.
Dazu gesellt sich der eigentümliche Reiz, den die
Verschiebung der Massenverteilung auslöst. Nie-
mand kann sich dem Stimmungswechsel entziehen,
der vom Bilde ausgeht, wenn die hellen und dunklen
Massen, die senkrechten, wagrechten und schrägen
Linien sich innerhalb des Rahmens bald so, bald so
einstellen. Viel deutlicher als in der Wirklichkeit
zeigt sich im Lichtbilde auch, von welchem Einfluß
die sogenannte Überschneidung auf Klarheit und
Schönheit der Darstellung ist. Man sieht das über-
all, wo Menschen, Tiere und bewegliche Gegen-
stände sich gegeneinander verschieben und sich
TUCHKLEIDCHEN U. HÄUBCHEN MIT BUNTER WOLLSTICKEREI.
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