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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 46.1920

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Michel, Wilhelm: Umschwung im Expressionismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.7200#0060

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Umschwung im Expressionismus.

verjüngt, um einen noch radikaleren Entwick- t
lungsabschnitt zu verlängern. Es steckt in der
dadaistischen Unternehmung das richtige
Gefühl, daß es ein ungeheures Wagnis ist, aus i
dem Negativen ins Positive zu gehen. Bejahung
bringt Bindung. Die Weite des Welt- und Ich-
gefühls, die Schwingung der kosmischen Woge t
muß irgendwie schrumpfen, wenn aus den tau-
send Masken in die eine Wahrheit, aus der
vielfältigen Übertretung in das einfache Gesetz t
gegangen werden soll. Trotzdem scheint mir
gegenwärtig der dadaistische Vorstoß wenig i
Aussicht auf Erfolg zu haben. Mit allgemeinen f
Argumenten läßt sich freilich in der Frage so
großer Bewegungen nicht operieren. Aber in
seinem Äußersten, vor zusammenfassendem, t
überschauendem Blick, wird das Geistige wie-
der auf überraschende Weise physisch-mecha-
nisch. Und aus Gefühl für dieses Mechanische t
darf gesagt werden, daß wir einer Peripetie
nach der positiven Seite genähert scheinen.
Wie diese Wendung beschaffen sein kann, f
darüber ist keine Prophetie zu wagen.

Das Neue kommt immer von der unerwarte-
ten Seite oder unerkennbar vermummt. Der i
Schaffende denkt nicht mit unserm Hirn und
schöpft seine Bilder aus einem Vorrat, in den
nie ein Auge einen Blick getan hat.....w. m. i

dem Geiste noch nicht Ernst gemacht worden.
Es ist nur gefühlt und klargestellt, daß mit dem
impressionistischen Weltbild nicht mehr auszu-
kommen war. Der neue Glaube aber ist noch
nicht da. Er wird vermutlich anders aussehen
als jeder vorhergegangene. Aber er wird Glaube
sein, irgend eine Art von schauendem Fromm-
sein, Bestätigung der Schöpfung. Die Zeit wird
dem Expressionismus sagen: Auf den Geist hast
du dich berufen, zum Geiste sollst du kommen.

Anzeichen sind vorhanden. Schon sind wir
in der Kunst mißtrauisch geworden gegen die
bloß empörerische Geste und gegen die bloße
Subjektivität. Kühnheit allein verfängt nicht
mehr. Wir prüfen sie auf Kraft und Ziel. Im
Bereich der Literatur haben sich Stimmen ge-
funden, die sich gegen Strindberg, Wedekind,
Sternheim erhoben. Obschon nichts fester
steht als die Unentbehrlichkeit dieser Leiden-
den, Zweifelnden und Höhnenden. Aber Bar-
lach steht ähnlich in der Kunst wie Strindberg in
der Dichtung. Und Wedekind, Sternheim kön-
nen kaum als überwundener gelten als Manche,
die der Malerei von heute noch Führer sind.

Auf der andern Seite liegen freilich in Dich-
tung und Kunst Versuche vor, die negative und
vorbereitende, wenn auch schon durchaus gei-
stige Periode, in der sich die Menschheit eben
 
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