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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 46.1920

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Kirchner, Joachim: Wilhelm Kohlhoff
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https://doi.org/10.11588/diglit.7200#0185

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WILHELM KOHLHOFF.

VON JOACHIM KIRCHNER.

Dem Wanderer durch die Provinzen der mo-
dernen Kunst wird der Weg heutzutage
keineswegs leicht gemacht. Aus den leben-
sprühenden, sinnenfreudigen Gefilden des Im-
pressionismus tritt er plötzlich in eine entmate-
rialisierte, vergeistigte Welt ein — sichtlich arm
an dem, was man von dem liebenswürdigen
Reiz des Lebens bisher in der Kunst mit prik-
kelndem Behagen zu genießen pflegte, doch
reich an inneren Klängen, die zu einer Einkehr,
einer Läuterung, zu einer Selbstbesinnung auf
den geistig religiösen Gehalt der Kunst einladen.
In diesem Sinne darf man sich der neuen Be-
wegung in der Kunst freuen. Allein, jede Re-
aktion, mag sie sachlich noch so berechtigt er-
scheinen, büßt einen Teil ihrer Bedeutung ein,
wenn sie über das Ziel hinausgeht, und sie wirkt
unsympathisch, wenn sie mit marktschreieri-
scher Propaganda zu sinnlosen Extremen ge-
führt und damit zu Tode gehetzt wird. Was
wenige starke Talente mit richtigem Impuls ur-
sprünglich, aus innerer Notwendigkeit imagi-
nierten, wird durch skrupellose Nachahmung
und Übertreibung zahlloser und zügelloser Mit-
läufer diskreditiert, und was anfangs so leuch-
tend anhub, erscheint mit einem Male zur Mode-
angelegenheit degradiert. Nicht ohne Sorge
sieht man die moderne Kunst diesen Weg neh-
men. Verheißungsvoll waren die Anfänge; der
Expressionismus der Jungen ließ Großes er-
warten. Doch nur zu schnell wurde von be-
henden Reklamemachern die Idee zum Geschäft
ausgebeutet, und wenn das relativ gemäßigte
Furioso der Ausstellungen des ersten Revolu-
tionsjahres auf den diesjährigen Ausstellungen
nur noch in Fortissimoklängen erschallt, so muß
das den überzeugtesten Parteigänger der jungen
Kunst bedenklich stimmen.

Es ist ein Unding, daß wir uns immer weiter
nur in Ekstasen bewegen sollen. In der Natur
alles Ekstatischen liegt es beschlossen, daß sie
sich in Übertreibungen ergeht, und gewiß gibt es
Momente in einem Künstlerleben, wo sich die
Sehnsucht in zügellosen Verkrampfungen aus-
spricht. Allein das Maßlose darf nicht einen
stationären Charakter annehmen, darf nicht das
einzige Ziel einer ganzen Generation werden.
Es gibt Zwischenstufen des ekstatischen Aus-
drucks, die künstlerisch haltbar und wertvoll
sind, aber doch sicherlich nur dann, wenn ein
Selbstzucht übender starker Wille dahintersteht.

Die Atmosphäre der Großstadt erweist sich
für den Künstler immer als besonders gefähr-
lich; beneidenswert ist der Glückliche, der fern
von allem Kunstbetriebe in der Einsamkeit ganz
seinen Phantasien nachgehen kann, und der auf
der Basis eines gut fundierten handwerks-
mäßigen Könnens dort seine Visionen auf die
Leinwand bringt. Er lebt abgeschieden von der
geräuschvollen Welt und fragt wenig danach,
wer seine Bilder einmal kauft. Ungern drängt
er sich mit seinen Schöpfungen an die Öffent-
lichkeit, aber wenn er einmal seine Werke zu
einer Ausstellung vereinigt, dann wird es klar,
wie sehr sich seine Einsamkeit belohnt, und
wie sehr er mit dieser selbstgewählten Askese
sich und seine Kunst gefördert hat. Ein Künstler-
typus dieser Art tritt uns in Wilhelm Kohl-
hoff entgegen. Kohlhoff, ein geborener Ber-
liner, zog sich vor zwei Jahren aus der Groß-
stadt zurück und lebt seitdem in Heidelberg.
Über seine außerordentliche Begabung bestand
wohl nie ein Zweifel; vor seinen Bildern, die
er auf den Ausstellungen der Berliner Sezession
zeigte, hatte man stets das Gefühl, einem eigen-
willigen, starken Temperament gegenüber zu
stehen. Seine Kunst hatte von Anfang an etwas
merkwürdig Transzendentes, Erdenfernes. Nicht
als ob Kohlhoff sich gewaltsam von dem Ob-
jekte löste, und mit willkürlichen Stilisierungen
experimentierte, vielmehr war er bemüht, die
in der Natur gegebenen Formen nach Möglich-
keit zu wahren. Aber er erfüllte sie mit einer
visionären Kraft, mit dem Überfluß einer reichen
Phantasie, er steigerte sie durch rhythmische
Akzentuierungen und breitete durch Anwen-
dung dunkler Farbentöne, die durch ein visionär
empfundenes Weiß aufgehellt waren, über jedes
seiner Bilder eine somnambule, fast könnte man
sagen, spiritistische Stimmung aus. Man hat
zuweilen das Empfinden, als ob ihn Grünewald
und Greco beeinflußt hätten. Allein diese Be-
ziehungen sind doch wohl nur zufälliger oder
mindestens sehr oberflächlicher Art, denn Kohl-
hoff hat nie ein Grünewaldsches oder Greco-
sches Original gesehen. Wesentlicher scheint
die Lektüre Dostojewskis auf sein Schaffen ein-
gewirkt zu haben, durch die ihm, wie er selbst
versichert, die stärksten Anregungen gegeben
wurden. Dieser Hinweis ist für das Verständnis
des Malers bedeutungsvoll genug. Wo der
russische Dichter die ekstatisch-visionären und
 
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