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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 46.1920

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Reichert, Otto: Schriftkunst und Dichtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.7200#0210

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Schri/tkunst und Dichhtng.

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otto reichert—offen bach a. m. handschrift: ein alter schlach '['gesang. phot. emmy limpert—frankfurt.

zarter Lyrik, die Wucht harter Verse eines
alten Kriegsliedes in sich wiederklingen lassen
kann. Ihm gehen beim bedächtigen Schreiben
immer neue Schönheiten der Gedanken und
des Wortklangs eines Dichterwerkes auf. Sie
alle auch dem Beschauer näher zu bringen ist
die vornehmste Aufgabe des Buchschreibers.
Daß er sie erfüllt, halte ich aber — im Gegensatz
zu manchen andern Schreibern — nur dann für
möglich, wenn er mehr gibt, als bloßes Abschrei-
ben. (Bildschmuck kann die Gesamtwirkung
einer Handschrift wohl heben, aber fehlende
Ausgestaltung der Schrift nicht ersetzen. Schrift
und Schmuck und Einband müssen unter sich und
mit dem Inhalt des Textes zusammengehen und
ein Ganzes sein, wie sich auch die Farben der
Stimmung der Dichtung einfügen müssen.)

Menschen, die keinen Sinn für Dichtung
haben, oder denen sich die Schönheiten einer
Schrift noch nicht offenbarten — und es gibt
manche Leute dabei, die sonst in Kunstdingen
ein reifes Urteil haben! — verstehen auch ein
handgeschriebenes Buch nicht; sie blättern rat-
los darin, und wissen auch nicht den persön-
lichen Wert zu schätzen, den es für den
Besitzer hat. Der bekam es vielleicht als Gabe

aus lieber Hand, weil ein besonderes Erinnern
sich gerade mit diesem Gedicht verknüpft, oder
er ließ sich als Freund guter Literatur das ihm
Liebste schreiben, um es in stillen Feierstunden
andächtig zu genießen. —

Die wenigen Kunstfreunde, die das neue Son-
dergebiet der Buchkunst bisher richtig erkann-
ten, betonen immer wieder das Persönliche und
Innige und Lebendigbleibende des geschriebe-
nen Buches. Und die Freude, die ihnen aus dem
köstlichen Besitz erblüht, hilft von selbst dazu,
daß sich ihr Kreis ständig erweitert. ... o. r.
s

Ein Volk ist umso stärker, je mehr Empfin-
dungen und Gedanken in den Herzen und
Köpfen aller lebendig sind, je mehr von den
großen nationalen Werken und Taten als allen
gemeinsamer Besitz gefühlt und geliebt werden.
Wir können nach außen keine Kraft äußern,
die wir nicht in uns besitzen. Jeder einzelne
muß die bildende Kraft und den Willen der
Edelsten seines Volkes in sich wirksam fühlen.
Das gibt im Innern den festen Boden, auf dem
sich alle Glieder des Volkes verstehen und eins
fühlen und nach außen das starke Bollwerk,
das ein Volkstum bewahrt, alfred lichtwark.

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